Die gemeinsame EU-Agrarpolitik gehört zu den Grundpfeilern der Europäischen Union. Und zu den ältesten noch dazu: Sie geht in ihren Grundzügen schon auf das Jahr 1962 zurück. Mindestens genauso alt sind aber die Proteste gegen eben diese gemeinsame Agrarpolitik. Eine der größten und grimmigsten Demonstrationen fand am 23. März 1971 in Brüssel statt. Da flogen derartig die Fetzen, dass man sich bis heute daran erinnert. Im Vordergrund stand schon damals die Forderung der Landwirte nach angemessenen Preisen für ihre Produkte.
Über ein halbes Jahrhundert später hat sich offensichtlich nichts verändert, ist genau das für die Landwirte von heute zu einem buchstäblich "existenziellen Problem" geworden. Viele können nicht mehr von ihrer Arbeit leben, müssen einen Nebenjob annehmen, um über die Runden zu kommen. Oft, sehr oft haben Landwirte und ihre Interessenvertreter auf EU-Ebene auf das Problem hingewiesen. Wenn überhaupt, dann wurden aber nur Korrekturen kosmetischer Art vorgenommen.
Obendrauf kamen dann aber nochmal vor allem in den letzten Jahren immer wieder neue Klima- und Umweltschutznormen. Eine nach der anderen. Einige der erforderlichen Maßnahmen haben zur Folge, dass die zur Verfügung stehenden Flächen und damit die Erträge kleiner werden. "Noch kleiner" also, wenn man nur die Ernten vor Augen hat. Wenn auch niemand die Notwendigkeit drastischer Maßnahmen zur Rettung des Klimas ernsthaft in Zweifel zieht, für die Landwirte muss sich das wie ein weiterer Sargnagel anfühlen. Und das erst recht, wenn man sich vor Augen hält, dass die EU unter anderem mit einer Reihe von südamerikanischen Staaten weiter über das sogenannte "Mercosur"-Abkommen" verhandelt. Das würde ja unter anderem die Einfuhr von landwirtschaftlichen Produkten aus diesen Ländern vereinfachen.
"Wir müssen hier immer restriktivere Auflagen erfüllen, während die EU auf der anderen Seite landwirtschaftliche Erzeugnisse einführen will, die wohl nicht oder nur sehr bedingt den gleichen Regeln unterworfen sind. Das ist unlautere Konkurrenz und das darf doch nicht sein!", hört man da von den Bauernverbänden. Und kann man es ihnen wirklich verdenken, wenn sich die Bauern da am Ende wie die sprichwörtlichen Bauernopfer fühlen?
Irgendwann jedenfalls war das Maß voll. In einigen Ländern mit spezifischen Problemen war das früher der Fall. Wie zum Beispiel in den Niederlanden, wo die Regierung zusätzlich noch neue Stickstoffnormen verhängen musste, weil eine zu kleine landwirtschaftliche Nutzfläche zu intensiv genutzt wurde. Und eben dieses Beispiel zeigt, was passieren kann, wenn der ländliche Raum den Aufstand probt. In den Niederlanden formierte sich die BBB, die Bauer-Bürger-Bewegung. Die neue Protestpartei wurde bei den Wahlen zu den Provinzparlamenten im März letzten Jahren mit 20 Prozent zur stärksten Kraft. Beobachter sehen in diesem politischen Erdbeben einen Vorboten für den Sieg des Rechtsextremisten Geert Wilders bei der Parlamentswahl im vergangenen November.
Und das Beispiel scheint Schule zu machen. Überall versuchen Populisten und Rechtsextremisten, die Bauernproteste politisch auszuschlachten, für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Denn in den Augen der Demokratiefeinde passt das doch so wunderbar ins Bild. Das allgemeine Klima wird so noch verstärkt: eine Mischung aus lupenreinem Weltschmerz, scheinbarer Perspektivlosigkeit, hysterischem Pessimismus und schierer Zukunftsangst, bei gleichzeitiger Verklärung der angeblich so viel besseren Vergangenheit. Wer auf dieser Welle surfen will, für den können die Bauernproteste als Musterbeispiel dienen für den so oft beschworenen Niedergang, für ein Systemversagen, für das einzig das angeblich unfähige und nur auf seine eigenen Interessen fokussierte Establishment verantwortlich ist.
Das eigentlich Schlimme ist: Es fällt schwer, hier nicht zumindest im Ansatz einen wahren Kern zu sehen. Sagen wir mal so: Die EU macht es hier ihren Gegnern doch ziemlich leicht. Nur ein Beispiel: Nach wie vor ist es so, dass bei der Vergabe der EU-Agrarsubventionen die großen Konzerne bevorteilt werden, der Unterschied zu den kleinen Betrieben bleibt jedenfalls zu groß. Wie schrieb schon die Zeitung De Morgen: Bei Zuschüssen von fast 400 Milliarden Euro innerhalb von sechs Jahren dürfte eigentlich kein Bauer notleiden. Und es ist eben dieser Eindruck, dass es immer die Kleinen trifft, der den Populisten in den letzten Jahren das Bettchen gemacht hat.
Das scheint immer mehr Verantwortlichen inzwischen aufzugehen. Die EU-Kommissionsvorsitzende Ursula von der Leyen hat gerade erst den Startschuss für einen "strategischen Dialog" gegeben, bei dem man gemeinsam mit den Bauern ein Leitbild für die Landwirtschaft der Zukunft ausarbeiten will. Ein halbes Jahr vor der Europawahl wirkt das aber eigentlich nur wie ein doch recht plumper Versuch, die Gemüter wieder abzukühlen. Zu wenig, zu spät, muss man leider sagen.
Bei alledem sollte man aber auch nicht so tun, als läge der Fehler nur bei der Politik. Letztlich hat es nämlich auch der Verbraucher in der Hand: Wer resolut europäische Qualitätsprodukte kauft und auch bereit ist, den entsprechenden Preis zu zahlen, der konterkariert das Billig-Billig-Billig-Mantra der Discounter. Denn sie haben auch maßgeblichen Anteil daran, dass die Bauern nicht die Preise bekommen, die wirklich angemessen wären.
Die Sorgen und Nöte der Bauern verdienen jetzt jedenfalls endlich mal eine gesellschaftliche Debatte, bei der die Rolle aller Akteure mal wirklich hinterfragt wird. Und das schnell, denn so kann es nicht weitergehen. Ums mal mit Friedrich Schiller zu sagen: "Wehe, wenn sie losgelassen …"
Roger Pint
Ach deswegen hat man noch nie einen BRF-Journalisten in einem Discounter gesehen. Die zahlen alle die entsprechenden Preise im Hofladen. Ironie aus. Das hohe moralische Ross von dem aus Journalisten uns die Welt erklären muss man sich auch leisten können. Wer Kritiker ganz schnell "zu Feinden der EU" erklärt darf sich nicht wundern wenn er nicht mehr als Journalist sondern als Agitator wahrgenommen wird.
Na Bravo … nun ist der Bürger schuld … Ganz toll … kenne sehr viele Leute die sich die Energien nicht mehr leisten können um zu essen ….
Kommt mir vor als wenn ein Politiker den Artikel geschrieben hätte…
Gibt es noch einen Unterschied zwischen Politiker und Journalisten - zumal immer mehr private Querverbindungen existieren. Alles wird zu einem großen Brei und es schmeckt immer gleich...
Wer das nötige Kleingeld hat, kann sich auch die im Artikel erwähnten Qualitätsprodukte leisten. Aber nicht jeder hat dieses Kleingeld.
Nur sollte durchaus die Landwirtschaftspolitik mal überdenkt werden. Vielleicht wäre es doch besser den europäischen Markt nach außen abzuschotten und den Verbraucher zu subventionieren anstatt den Erzeuger, weil schlussendlich bezahlt der Verbraucher die Zeche mittels Steuern und Abgaben.