Immer diese Hausaufgaben - Generationen haben schon darüber gestöhnt. Und trotzdem waren und sind sie ein wichtiger Bestandteil des Lernens. Vieles lernen und vor allem behalten wir durch Wiederholen. Bei manchen geht das schnell, andere brauchen mehr Gelegenheiten, Gelerntes anzuwenden. Zu Hause das im Kopf festigen, was man in der Klasse gelernt hat, dazu dienen Hausaufgaben. Je älter Schüler werden, desto mehr trainieren sie über Hausaufgaben ihre Selbstorganisation. So weit sind sich alle einig.
Dass Lehrer Schüler dabei nicht überfordern dürfen, sollte selbstverständlich sein. Grundschüler mit Aufgaben zu überfrachten, wird Kinder am Ende eher demotivieren und die Freude am Lernen ausbremsen. Wenn Lehrer es für eine gute Idee halten, die Selbstorganisation von Sekundarschüler zu trainieren, indem sie sie innerhalb kurzer Zeit für drei oder vier Tests an einem Tag lernen lassen, dann haben sie keine Ahnung von der Lebenswirklichkeit von Teenagern. Und es ist ein Armutszeugnis für Schulen, wenn sie es im digitalen Zeitalter nicht schaffen, Zeitslots für Tests und Klausuren so zu organisieren, dass solche Testhäufungen nicht vorkommen. Ein Jammer, dass es für all das tatsächlich ein Dekret braucht.
Hausaufgaben werden derzeit nicht abgeschafft. Erklärtes Ziel lautet aber, dass Schüler so wenig wie möglich zu Hause für die Schule tun müssen. Der gesamte Lernprozess soll in der Schulzeit in der Schule stattfinden. In einer perfekten Welt können Lehrer jeden einzelnen Schüler nach dessen individuellem Bedarf fördern und fordern. Und am Ende erreicht auch jeder Schüler innerhalb der Schulzeit ein hochgestecktes Lernziel.
Direkter Einblick in den Schulalltag
Beim Für und Wider zu Hausaufgaben kam bei allen Parteien im Parlament ein Aspekt deutlich zu kurz: die Eltern. Für Eltern sind die Hausaufgaben der direkte Einblick in den Schulalltag der Kinder. Was soll mein Kind können, wie erlernt es neue Fähigkeiten, wie stellt es sich dabei an, was kann mein Kind, wo gibt es Schwierigkeiten? Das erfahren Eltern nirgendwo sonst so unmittelbar wie bei den Hausaufgaben. Der Blick auf geschriebene Klassenarbeiten oder ein Gespräch mit den Lehrern können das nicht ersetzen.
Ja, es gibt Eltern, die sich nicht um die Schulkarriere ihrer Kinder kümmern. Sei es, weil sie nicht können, weil sie nicht wollen oder sich nicht die Zeit dafür nehmen. Und ja, genau für diese Kinder braucht es Lösungen. Man kann all den Ehrenamtlichen in den Hausaufgabenbetreuungen nicht genug dafür danken, dass sie Kinder beim Lernen unterstützen und fehlende Leistung von Eltern auffangen. Vermutlich braucht es hier noch viel mehr helfende Hände und Köpfe.
Hausaufgaben ganz abzuschaffen, erklärt aber die - hoffentlich - immer noch Ausnahme zur Regel. Kinder und Lehrer bleiben beim Lernen weitgehend unter sich. Der Informationsfluss zu den Eltern trocknet aus. Und jetzt wird es böse: Mancher Lehrer mag bei dem Gedanken sogar "hurra" rufen. Denn dann muss er sich nicht mit Eltern rumplagen, die glauben, alles besser zu wissen und ausgebildeten Pädagogen ins Handwerk pfuschen wollen.
Nein, die Schulkarriere eines Kindes ist eine Sache von Kindern, Lehrern und auch Eltern. Sie kann nur gelingen, wenn jeder seinen Part darin übernimmt und die Rolle der anderen respektiert. Fallen die Eltern aus, muss das Schulsystem die betreffenden Kinder auffangen - das ist es den Kindern im Sinne der Bildungsgerechtigkeit schuldig. Aber es gibt auch Eltern, die die Schulkarriere des Kindes nicht blind dem Schulsystem überlassen wollen. Wohl auch, weil die vorhin skizzierte perfekte Welt nun mal nicht überall so perfekt ist. Man denke nur daran, dass es in vielen Schulen an Lehrern fehlt. Viele Eltern möchten sich einbringen oder zumindest die Schulkarriere eng begleiten. Hausaufgaben bilden neben den anderen Vorteilen in vielerlei Hinsicht den Anknüpfungspunkt dazu.
Olivier Krickel