Zugegeben: Die Politik beziehungsweise der Staat haben es schon nicht leicht. Egal, was entschieden wird, es ist in den Augen vieler komplett verkehrt. Das gilt natürlich auch beim Thema Energie: Wird auch nur darüber nachgedacht, irgendwelche Beschränkungen einzuführen, um zum Beispiel weniger Sprit oder Gas zu verbrauchen, sehen sich manche Zeitgenossen sofort in ihren persönlichen Freiheiten eingeschränkt und wähnen sich in einem "Nanny State", einem "Kindermädchen-Staat", oder gar schon auf dem direkten Weg in eine Diktatur. Tut die Politik hingegen nichts, dann wird trotzdem auf sie eingeprügelt, wegen ihrer angeblichen Faulheit, Feigheit, Vogel-Strauß-Politik oder weil sie sich bestimmt von dieser oder jener Lobby hat kaufen lassen.
Von daher ist es irgendwie schon nachvollziehbar, dass die Föderalregierung versucht, einen Balanceakt hinzubekommen: Weitere Maßnahmen seien in Belgien nicht geplant – wohlgemerkt auf Grundlage der aktuellen Daten. Denn niemand weiß, auf welche Ideen man vor allem in Moskau noch kommen könnte. Aber fürs Erste jedenfalls sind somit wohl keine Gelbwesten-ähnlichen "Volksaufstände" gegen die "unterdrückerische Obrigkeit" zu befürchten.
Gleichzeitig betont die föderale Energieministerin aber auch, dass sie ja keinesfalls gegen das Sparen von Energie sei. Im Gegenteil, man wolle die Menschen dazu ermuntern, weniger zu verbrauchen. Aber eben auf komplett freiwilliger Basis. Energiesparen aus Gewissensgründen quasi. Wenn jeder sein kleines freiwilliges Scherflein beitrage, dann könne das ja auch schon sehr viel ausmachen, so die Argumentation. Nicht umsonst heißt die entsprechende Kampagne ja auch übersetzt "Ich bewirke etwas".
Apropos bewirken: Belgien hat in der ersten Hälfte des Jahres schon 18,5 Prozent weniger Gas benötigt. Sicher, einige Menschen werden aus Umweltschutzgründen oder vielleicht sogar aus Solidarität mit der Ukraine weniger verbraucht haben. Aber realistischerweise sollte man wohl doch davon ausgehen, dass ein Großteil der Einsparungen schlicht und ergreifend mit den enorm gestiegenen Kosten für Energie zu tun hat. Und damit sind wir beim Thema soziale Gerechtigkeit. Wenn vor allem Gehalt beziehungsweise Vermögen darüber entscheiden, ob Energie gespart wird, dann ist das kaum förderlich für den gesellschaftlichen Zusammenhalt oder die Akzeptanz bestimmter Verhaltensweisen.
Und das ist keinesfalls nur ein Problem für den nächsten Winter. Denn mittel- und langfristig ist ganz klar, was die größte Bedrohung für unser Leben ist, nämlich der Klimawandel. Nicht, dass die Warnzeichen auch nur kurzfristig zu übersehen wären, siehe immer schlimmer werdende Hitzewellen, Wassermangel und Waldbrände. Um mit viel Glück überhaupt noch die Kurve zu kriegen, werden noch viel größere Anstrengungen und Opfer notwendig sein als jetzt beim russischen Herumschrauben an den Gasleitungen.
Darauf sollten die Menschen unmissverständlich mental vorbereitet werden. Je länger die Politik Klartext vermeidet (und übrigens auch ein Vorangehen mit gutem Beispiel) und dadurch den Eindruck erweckt, dass man ja so gut vorbereitet sei, dass keine zusätzlichen Maßnahmen notwendig seien, desto unsanfter das Erwachen.
Boris Schmidt
Guter Kommentar Herr Schmidt.
Sie reden Klartext.
Nur Ehrlichkeit von der Politik zu verlangen, ist ein Ding der Unmöglichkeit.Das Lügen, Tricksen und der kreative Umgang mit Tatsachen sind wesentlicher Bestandteil der Politik.Man kann schon froh sein, wenn die Balken sich nicht zu viel biegen.
In der Tat muss ein Mechanismus gefunden werden, der allen den gleichen Zugang zu Energie erlaubt, unabhängig von Vermögen und Einkommen.Sonst droht ein Volksaufstand und damit eine Schwächung der Demokratie.Putin wäre der eigentliche Profiteur.
Da Europa nur 10 % des CO2 produziert, ist die Frage des Klimawandel irrelevant. Es gibt andere und wichtigere Probleme.