Am Montag werden wir wieder Bilder von protestierenden Gewerkschaftlern in den Straßen von Brüssel sehen, die mehr Kaufkraft für die Bevölkerung fordern. Das ist ihr gutes Recht und auch der Job von Gewerkschaften. Dass das ausgerechnet in Belgien geschieht, mag von außen betrachtet schon etwas skurril anmuten. Denn fast nirgendwo sonst sind Arbeitnehmer und Empfänger von Sozialleistungen so gut gegen Kaufkraftverlust geschützt wie hierzulande - Lohnindexbindung sei Dank.
Ja, nicht nur das Auto betanken tut weh - richtig schmerzhaft wird es beim Heizöl, Gas oder auch Strom. Wer seinem Ölhändler statt 2.000 Euro plötzlich 4.000 Euro oder noch mehr überweisen muss, hat plötzlich ein dickes und vielleicht auch unüberbrückbares Loch in der Haushaltskasse. Weil Energie in jedem Produkt und jeder Dienstleistung steckt, befeuern diese Kosten die Preise für eigentlich alles.
Die Preiskapriolen auf den Energiemärkten mögen wir zum Großteil Putins Angriffskrieg zu "verdanken" haben. Die Keimzelle des Inflationsschocks umfasst aber weit mehr Faktoren. Seit der Finanz-Krise haben die Notenbanken die Welt mit billigem Geld überflutet. Geld, das in der Finanz-Krise aber nur teilweise in der breiten Bevölkerung in Umlauf gekommen ist. Es hat vor allem die Finanzakteure stabilisiert und dort Schlimmeres verhindert. Seit der Corona-Krise ist das anders.
Die Regierungen weltweit haben das billige Geld genutzt, um die breite Wirtschaft zu stützen. Das haben sie absolut zu Recht und mit Erfolg getan - aber jetzt zahlen wir über die Inflation den Preis dafür, dass den Corona-Hilfsgeldern keine wirtschaftlichen Werte gegenüberstehen. Im Gegensatz zu den Hilfen in der Finanz-Krise kommt dieses Geld direkt in Umlauf. Durch höhere Zinsen gegensteuern kann besonders die europäische Notenbank kaum noch, weil dann einige Staaten um ihre Solvenz fürchten müssen. Auch Belgien zählt zu den Wackelkandidaten. Und zum Schluss schieben die unterbrochenen Lieferketten die Inflation an. Hohe Nachfrage durch viel verteiltes Geld trifft auf geringes Angebot durch Produktionsausfälle.
Wer die Lösung in De-Globalisierung oder gar De-Industrialisierung anstrebt, wird die Inflation langfristig etablieren. Das Prinzip, Produkte dort herzustellen, wo es am kostengünstigsten ist, war und ist der Motor für Preisstabilität und damit der Garant, dass wir alle uns immer mehr leisten können. Jetzt wieder vieles selbst herstellen zu wollen, kann am Ende nur teurer werden.
Wim Coumans, der Kabinettchef von mehreren belgischen Premierministern, hat es vor einigen Wochen schon auf den Punkt gebracht: Steigende Preise verarmen ein Land. Das ist unausweichlich. In der Not kann man die Last bestenfalls gerecht verteilen. Mit anderen Worten: Jeder muss einen Teil schultern: der Staat, die Wirtschaft aber eben auch der Bürger. Vor allem weil die Energiepreise Inflationstreiber Nummer eins sind, scheinen Maßnahmen gezielt auf die Energiekosten sinnvoller als eine Lohnindexbindung - gegenfinanziert durch eine Übergewinnsteuer für Energiekonzerne.
Ebenso sollte der Fokus auf den wirklich Bedürftigen liegen. Es bleibt ein politischer Balanceakt, diese Gruppe genau zu definieren. Genauso bleibt es eine schwierige Aufgabe, auszutarieren, wie weit man Unternehmen mit steigenden Kosten belasten kann, ohne sie und ihre Wettbewerbsfähigkeit zu überfordern und wie viel Spielraum man den Staatsfinanzen geben kann, ohne sie entgleisen zu lassen. Die Debatte um die Lastenverteilung muss fair geführt werden - ohne den Anspruch zu haben, ungeschoren davon zu kommen. Fest steht: Die Umstände unserer Zeit formen den besten Nährboden für Inflation und damit gesellschaftlicher Verarmung. Aus der verfahrenen Lage kommen wir nur raus, wenn jeder seinen Beitrag dazu leistet, ohne überfordert zu werden.
Olivier Krickel
Den Energieengpass und die steigenden Kosten haben wir der EU und NATO zu verdanken. Putin wird nur dafür schuldig gemacht.