Bouchez' Vorstoß für ein einheitliches Belgien klingt nicht nur in Flandern wie eine unglaubliche Provokation. So gut wie niemand ist für eine Rückkehr zu einem Zentralstaat. Selbst im Parteiprogramm der französischsprachigen Liberalen ist der Einheitsstaat kein erklärtes Ziel. Aktuell lösen selbst zaghafte Vorschläge zur Reföderalisierung einzelner Zuständigkeiten lauten Widerstand aus.
Aber, wer weiß? Es gibt Interviews, die eine politische Zäsur markieren oder ankündigen. Auch wenn sie als politische Spinnerei daherkommen.
Dass ausgerechnet Bouchez, der - als Jahrgang 1986 - den Einheitsstaat von vor 1970 gar nicht erlebt hat, eben diesen als Ideal feiert, während er den Weg für eine neue Regierung ebnen soll, hat natürlich Sprengkraft.
Es ist aber nicht auszuschließen, dass Bouchez nicht die Ratio anspricht, sondern ein Gefühl. Das Gefühl derer, die das Streben der flämischen Nationalisten und Separatisten schon lange mit Argwohn verfolgen. Das Gefühl derer, die sich nach Einheit und Sicherheit sehnen, statt mit der ständigen Angst zu leben, schon morgen in einem ganz neuen Land aufzuwachen.
"Ich liebe Belgien. Ich bin für einen einheitlichen Staat, vor allem gefühlsmäßig. Ich hänge an der Brabançonne und an der belgischen Flagge." (Georges-Louis Bouchez)
Kann es nicht sein, dass Bouchez - noch mehr als vom Einheitsstaat - davon träumt, an der Spitze einer pro-belgischen Bewegung zu stehen, die mehr zu bieten hat, als nichts zu fordern? Statt "nous sommes demandeurs de rien" - "nous sommes demandeurs d'autre chose".
Eine Bewegung, die den Spaltern Paroli bietet und sich anschickt, eine Vision für ein starkes Belgien zu entwickeln. Sozusagen ein Belgien im Aufbruch, ganz nach dem Vorbild des französischen Präsidenten, mit seiner La République En marche.
Angesichts des vielzitierten Niedergangs klassischer Parteien dürfte Bouchez zumindest in Gedanken beim nächsten Wahlkampf sein. Sein Bekenntnis zum Einheitsstaat wirkt wie ein schwarz-gelb-roter Testballon. Zwar wurde er von allen Seiten abgeschossen. Aber in der Rolle des Informators hat er für seine patriotische Träumerei maximale Aufmerksamkeit erhalten. Jetzt weiß wenigstens jeder, wo der Mann steht.
Was die Regierungsbildung angeht, sind die Aussagen von Bouchez kein gutes Vorzeichen. Politische Beobachter gehen davon aus, dass N-VA-Chef Bart De Wever endlich in den Ring geschickt werden müsste. Doch ob der Lust hat, als Retter Belgiens da zu stehen, darf bezweifelt werden.
Neuwahlen werden in dieser verfahrenen Situation immer wahrscheinlicher.
Und Bouchez? Er hat den Einsatz erhöht, auf die Gefahr hin, dass es ein "Alles oder Nichts" wird. Denn worum sollte es bei dieser Neuwahl sonst gehen?
Manuel Zimmermann