Es ist nicht so, als hätte man die demokratischen Parteien nicht genau vor diesem Schwarzen Sonntag gewarnt. So mancher Beobachter hatte sich sogar schon die Szene bildlich vorgestellt: die Vorsitzenden der traditionellen Parteien, die bedröppelt in die Kameras gucken, die den Sieg der Rechtsextremen "nur bedauern" können, und die betonen, dass es die Demokratie und ihre Werte zu verteidigen gilt. Es sind dieselben Parteivorsitzenden, die maßgeblichen Anteil daran hatten, dass viele Menschen eben nicht mehr an das System glauben.
Da kann man viele Beispiele finden. Bleiben wir mal auf flämischer Seite: Das Schauspiel, das die drei flämischen Regierungsparteien in den letzten viereinhalb Jahren geboten haben, war über weite Strecken einfach nur unwürdig. Hinter dem vermeintlich liebevollen Etikett "Kabbelkabinett" verbargt sich eine ätzende Realität. Drei Parteien, die sich das Schwarze unter den Fingernägeln nicht gönnten. Jede Entscheidung, jede Initiative wurde zum Anlass genommen, um sich zu profilieren, wahlkampfstrategisch zu positionieren. Permanenter Wahlkampf - und das Jahre vor dem nächsten Wahltermin. Das war selbst für politische Beobachter unerträglich.
Den traurigen Höhepunkt gab es dann sechs Monate vor der Wahl, als die N-VA - aus heiterem Himmel und faktisch unbegründet - einen Streit vom Zaun brechen musste über den UN-Migrationspakt. Der endete bekanntlich mit dem Sturz der Regierung. Mit dem Resultat, dass einige, wichtige Reformen liegen geblieben sind.
Streit, Knatsch, Zankereien. Und das Ganze Tag für Tag breit getreten in den - gefühlt - unzähligen Polit-Talkshows in den flämischen Medien, die ohnehin längst den Eindruck vermitteln, sie betrachteten Politik als eine Daily-Soap. Mit der Betonung auf "Soap": eine nicht enden wollende Seifenoper mit ständig neuen Wendungen - und mit der Betonung auf "daily". Jeden Tag ein neuer Aufreger; wobei man beim Abspann weiß: Morgen geht's weiter... Polit-Zirkus. Politik zum Abgewöhnen.
Und das Schlimme war: Weil die Parteien ideologisch mehr oder weniger auf einer Wellenlänge waren, gab es eigentlich keine Ausrede, nach dem Motto: "Wir mussten es ja auch mal den linken Wallonen recht machen". Nein: Den Schlamassel haben die Mitte-Rechts-Parteien ganz alleine hinbekommen, inklusive der N-VA, die doch angeblich alles anders, alles besser machen wollte. Dass der Wähler da enttäuscht ist, darf niemanden verwundern.
Auf frankophoner Seite haben mal wieder Polit-Skandale die Legislaturperiode getaktet. Publifin, Samusocial, um nur die zwei flagrantesten Beispiele zu nennen. Der allgemeine Eindruck: In der frankophonen Politiklandschaft herrscht nach wie vor die Selbstbedienungsmentalität.
Und politisches Chaos gab's dann obendrauf noch frei Haus, als der CDH-Vorsitzende Benoit Lutgen 2017 opportunistisch den Stecker zog und alle Regierungen hochjagte. Mit dem Resultat, dass zwei Regierungen flügellahm wurden und auf den Felgen weitereierten. In der Wallonie gab's zwar eine alternative Mehrheit, die sich dann aber kurz vor der Ziellinie ebenfalls auf die Nase legte. Ein Ende so ruhmlos wie der Anfang...
Polit-Seifenoper und Dauerwahlkampf im Norden des Landes und eine Politiklandschaft im Süden des Landes, die immer noch nicht die alten Dämonen ausgetrieben hat: Wo ist der Bürger in dem Ganzen? Die Antwort steckt in der Frage... Das alles nur, um zu sagen: Politikverdrossenheit kommt nicht immer von ungefähr.
Das ist aber nicht die einzige Erklärung für den Aufstieg insbesondere des rechtsextremen Vlaams Belang. Die N-VA hat, ob nun bewusst oder unbewusst, dem Vlaams Belang das Bettchen gemacht, den Aufstieg der Rechtsextremisten mit begünstigt, indem sie sich auf das Niveau herabgelassen hat. Besonders Theo Francken hat ein ums andere Mal versucht, dem rechten Rand nach dem Mund zu reden, besser gesagt zu twittern. Erreicht hat er damit, dass Unsägliches ausgesprochen wurde, dass Missstände, wenn nicht herbeigeredet, dann doch bis zur Karikatur aufgeblasen wurde, dass die Migrationspolitik zum Dauerbrenner wurde, ohne dass es - zumindest in den letzten zwei Jahren - wirklich einen entsprechenden Anlass dafür gegeben hätte. Das hat nicht nur dazu geführt, dass rechte Zerrbilder plötzlich in der Mitte der Gesellschaft gelandet sind. Nein: Die N-VA hat damit den Vlaams Belang regelrecht wachgeküsst. Man könnte auch sagen: schlafende Hunde geweckt. Mit freundlicher Unterstützung der Medien, die das Duell zwischen Francken und dem überführten Rassisten Dries Van Langenhove genüsslich inszenierten.
Wer mit dem Feuer spielt... Der Aufstieg der extremen Parteien und insbesondere des Vlaams Belang ist nicht nur durch die allgemeine Gemütslage in der westlichen Welt zu erklären. Das Phänomen ist zu einem nicht unwesentlichen Teil hausgemacht.
Und das Tragische ist: Es kann nur schlimmer kommen. So, wie der Wähler die Karten gelegt hat, droht jetzt eine neue Dauerkrise. Aus Angst vor dem Machtverlust und außerdem mit dem jetzt besonders heißen Atem der Rechtsextremen im Nacken scheint es die N-VA darauf anlegen zu wollen, das Land zu blockieren. Die Chancen dafür stehen leider erschreckend gut. Auch, weil die traditionellen Parteien einfach nicht mehr stark genug sind, den Nationalisten noch den Weg zu versperren. Und auch, weil Bart De Wever den Wahlsieg des Vlaams Belang offensichtlich als Hebel benutzen will, um den Druck auf die anderen zu erhöhen, bloß keine Lösung ohne ihn zu suchen. Wie war das noch? Wer mit dem Feuer spielt...
Roger Pint
Herr Pint, Meinung nach hat sich auch viel zum Positiven gewendet. Die Mehrheit der Wallonie hat allen rechtsextremen Parteien Rote Karte gezeigt und den Premier abgewählt, der das Land gespalten hat durch ausländerfeindlichen Polizeistaat sowie durch neoliberalistische Politik gegen den Mittelstand. Das Erstarken des Flämischen Separatistenpartei VB ist ein Alarmsignal an die Zivilgesellschaft, die kleinen Leute vor dem sozialen Abstieg zu schützen und die geplante Staatsreform für das Belgien der vier Gliedstaaten auch zum Wohle unserer teilautonomen DG voranzubringen.
In der Hoffnung auf Di Rupo ohne den MR ist der wallonische Teil des Landes endlich wieder auf eine Politik der Mitte vorbereitet, idealerweise als gutes Vorbild für Flandern. Dann dürfte auch der VB seinen Einfluss verlieren wenn die gestrigen Provokationen des Noch-Premiers vergessen sind.
Außenpolitisch sollte Belgien Politik des strammen Kurses ggü. braunen Ländern wie FR, DK, IT und PL fahren. DE sollten wir klarmachen dass stabile Stromnetze europäisches Interesse sind.