Es ist schon pikant: Da bemüht sich ein Sven Mary, das Sprachengesetz zu bemühen, um für seinen Klienten Salah Abdeslam einen Freispruch zu fordern, und dann ist es für den flämisch-nationalen Innenminister Jan Jambon nur noch ein "winziges Papier in einer riesengroßen Akte, das tangiere nicht das Wesen des Prozesses, einen solchen Fehler brauche man nur zu korrigieren". Bisher war das Sprachengesetz ein flämisches Evangelium. Jambon hat Fortüne, gut für ihn, dass eine flexiblere Sicht auf Prozedurfehler bereits in der Regierungserklärung angekündigt war.
Fortüne brauchte nicht mal seine Partei, als ihr Idol, der Katalane Puidgemont in flämischen Rathäusern Hof hielt und dabei französisch parlierte - es war ja Puidgemont.
Geradezu übermütig riskierte es Theo Francken, Somalis nach Hause zu schicken. Erfolgreich, bekam er doch, was ihm wichtig ist - ungeschickt war es im Rahmen seiner Taktik nicht -, bekam er doch ein Foto von seinem Händedruck mit dem somalischen Regierungsbeamten. Der kräftige Händedruck und der Blick in die Kamera, für alle Smartphones in Somalia. Der Staatssekretär sagte es ja auch: Als es drohte, schief zu gehen, verwies er folgerichtig darauf, jetzt gelte es, keine falschen Signale zu senden, anders gesagt, das Signal des Fotos für Einreisewillige aus Somalia nicht zu verwässern - so ein klares und aussagekräftiges Foto, wie gemacht für Smartphones in somalischen Händen, als gezielte Abschreckung.
Als es dann doch heikel wurde und dennoch gut ausging für die Regierung, hat nicht nur mit Fortüne zu tun, da half man etwas nach: Der Regierungschef teilte erst mit, der Bericht des Generalkommissariats bescheinige, die Regierung habe keinen Fehler gemacht, diese Aussage verdrängte dann das Urteil des Generalkommissariats, bei der Risikobewertung sei die Regierung "unsorgfältig" vorgegangen. Die Regierung kam mit einem blauen Auge davon, einem Veilchen, aber ohne Desaster. Fortüne halt.
Es genügte, die Untersuchungsrichter ins Spiel zu bringen, die gleichen, die Kollege Geens abschaffen will. Was kein so großes Thema ist, obwohl der Untersuchungsrichter derjenige ist, der über den Freiheitsentzug entscheidet, eine Funktion, die dem Gesetzgeber bei Staatsgründung sehr wichtig war. So, wie es ihm wichtig war, dass diese im Belgien des 19. Jahrhunderts mit Prozessbeteiligten, meist waren es Notable, nicht speisen durften, so unter sich.
Erinnern Sie sich an das sogenannte Spaghetti-Urteil? Was ist er medial geprügelt worden, der Anwalt, der es verhinderte, dass dem Dutroux-Prozess nach dem Spaghetti-Essen mit den Nebenklägern die Nichtigkeit drohte. Geradezu erstaunlich, dass Sven Mary nicht der gleiche Hass entgegenschlug, als er für Abdeslam einen Freispruch zweiter Klasse erstreiten wollte, als Rechtsbeistand und als Organ der Rechtspflege. Und wahrscheinlich nicht ganz ohne Eigennutz. Aber - Abdeslam erwartet in Paris ohnehin der Hauptprozess, das wird der Bürger sich wohl denken. Nun, Jambon kommt sein bewusst naiv vorgetragenes Unverständnis zugute. Fortüne halt, trotz Protest der Anwaltskammern.
Da denkt man an nichts Böses, und da erscheint in dieser Woche ein Buch, das ein so wichtiges Thema wie eine Reform des Strafvollzuges aufgreift: Dem Autor, Anwalt Bruno Dayez kommt zugute, dass sein Einsatz glaubwürdig ist, angesichts seines langjährigen Engagements für einen klügeren Strafvollzug.
Sein Gedankengang ist dabei abenteuerlich: "Dutroux hat die Verschärfung verursacht, jetzt soll auch er für die Pendelbewegung rückwärts sorgen, zum Wohl der Gefangenen und der Gesellschaft". Intellektuell vielleicht nicht ohne Reiz, doch wohl kaum zielführend und höchstwahrscheinlich kontraproduktiv. Andererseits: Mit keinem anderen Namen würde er für sein Reformziel soviel Aufmerksamkeit erreichen. Er dürfte aber das Gegenteil erreichen und bisherigen Bestrebungen für eine wünschenswerte allgemeine Strafrechtsreform einen Bärendienst erweisen. Auch dies wäre Fortüne für eine Regierung, deren vorrangiges Ziel eine solche Reform nicht zu sein scheint.
Gespannt darf der staunende Beobachter weiterhin darauf sein, welchen Reiz soviel Fortüne auf den Partner im Süden, die MR, ausübt.
Frederik Schunck