"Too little, too late", sagt der Angelsachse in solchen Momenten. "Zu wenig, zu spät". Mit seiner halbherzigen Reaktion auf den Publifin-Skandal liefert das politische Personal in der Wallonie eigentlich nur noch einmal den Beweis dafür, dass man "nichts kapiert" hat. Und das in einer Woche, in der in den USA mit Donald Trump der Prototyp des Populisten ins Weiße Haus einzieht.
Die Krisenkommunikation in Namür wirkte zuweilen so, als reagierte man auf eine Naturkatastrophe, nach dem Motto: "Man kann uns doch nicht vorwerfen, wenn in Lüttich ein Vulkan ausbricht". Beispiel Paul Furlan: Der lobte sich allen Ernstes selber, weil er ja doch schon nach langer, harter Arbeit erste Erfolge erzielt habe, um den Interkommunalen künftig mehr auf die Finger zu schauen. Als handele es sich hier um quasi außerirdische, in jedem Fall unnahbare Strukturen, denen selbst die einzig legitime Aufsichtsbehörde nur unter schwersten Anstrengungen zu Leibe rücken kann. Hier haben David und Goliath wohl die Rollen getauscht.
Dabei ist es eigentlich andersherum: Die undurchsichtige Welt der Interkommunalen, das ist keine Folge einer göttlichen Plage. Die Geister hat man selber gerufen, die Monster selber geschaffen.
Nur ein Beispiel: Warum hat man zwar Regeln erlassen, die aber erst einmal nicht für so genannte "pluri-regionale" Interkommunalen galten; dazu gehört eben Publifin. Warum hat die PS-CDH-Mehrheit dieses Schlupfloch –gegen den Willen der Opposition- offengehalten?
Ohnehin kann man den wallonischen Granden ihre entsetzte Empörung nur schwerlich abnehmen. Die Wallonie ist letztlich auch nur ein Dorf. Dass wirklich niemand außerhalb des Lütticher Mikrokosmos' ahnen konnte, was bei Publifin und seinen Tochtergesellschaften so abging, das glaubt doch keiner, weil sogar viele Außenstehende es längst ahnten, jedenfalls nicht wirklich überrascht waren. Zumal, wenn sich auch noch herausstellt, dass der beigeordnete Kabinettschef des Aufsichtsministers ebenfalls auf der Gehaltsliste von Publifin, beziehungsweise Nethys stand.
Und dass es gerade unter den Lütticher Sozialisten nicht unbedingt nur Musterbeispiele für ein integres und ethisches Selbstverständnis gibt, das pfeifen die Spatzen auch längst von den Dächern. Wenn man jetzt plötzlich angeblich zu entdecken scheint, dass Leute wie Stéphane Moreau auf kunstvolle Pirouetten spezialisiert sind, um Hintertürchen zu öffnen, dann verkauft man die Menschen für dumm.
Als einer der ersten wagte es der Lütticher Politologe François Gemenne, die Dinge auf –zugegeben drastische- Art auf den Punkt zu bringen, als er Publifin-Nethys als eine mafia-ähnliche Struktur bezeichnete, mit, als Spinne im Netz, eben diesem Stéphane Moreau.
Nein! Der Publifin-Skandal fällt nicht vom Himmel. Das kann man selbst als Nicht-Insider behaupten. In Namür hat man's nicht gesehen, weil man nicht hingeschaut hat, nicht hinschauen wollte.
Das hat auch damit zu tun, dass bei Publifin alle irgendwie "mit drinhängen". In erster Linie gilt das für die drei traditionellen Parteien, PS, MR und CDH. Ja, auch die MR, die in Namür seit inzwischen über zwölf Jahren in der Opposition sitzt. Das mag auch erklären, warum der MR-Fraktionschef Pierre-Yves Jeholet am Mittwoch im wallonischen Parlament in seiner ersten Stellungnahme nicht den Rücktritt von Paul Furlan gefordert hatte, sondern erst in seiner Reaktion auf die Antwort des Ministers. Über weite Strecken musste man aber den Eindruck haben, insbesondere die Liberalen hätten Kreide gefressen.
Das hat sich freilich inzwischen geändert. Und man muss der Opposition Recht geben: Die Reaktion der wallonischen Regierung wird dem Skandal nicht mal ansatzweise gerecht. Niemand übernimmt die Verantwortung, Publifin eben als eine Art "Naturereignis".
Das Versprechen, jetzt schnellstens neue Regeln aufzustellen, klingt so hohl, dass es niemanden wirklich überzeugt. Zwingt sich doch die Frage auf, warum Kontrolle jetzt plötzlich doch möglich sein soll, wo das doch früher angeblich nicht ging.
Auf einen Knall konnte eigentlich nur ein Knall folgen. Das ist aber nicht passiert. Und trotz aller scheinbar entschlossenen Lippenbekenntnisse: Es zwingt sich der Verdacht auf, dass man in Namür noch immer nicht verstanden hat, wessen Bettchen man hier macht.
Das gilt insbesondere für die PS. Wollte Elio Di Rupo nicht schon vor über zehn Jahren persönlich, Zitat, "Jagd auf die Profiteure (Parvenüs)" machen? Dass Parteikollege Paul Magnette einigen Politikern in Lüttich –darunter mehrheitlich Sozialisten- jetzt eine Win-for-Life-Mentalität bescheinigt, zeigt eindrucksvoll das Scheitern des angeblich doch so allmächtigen PS-Chefs.
Und nach der nächsten Wahl, wenn's -was nicht zu hoffen ist- wieder einen "Schwarzen Sonntag" gegeben hat, oder wahlweise einen "dunkelroten", wenn jedenfalls Extremisten die Flaschen köpfen dürfen, dann stehen sie alle da, vor den Kameras, beklagen mit langen Gesichtern und einem Tränchen im Auge den wachsenden Populismus und die Politikverdrossenheit der Bürger, schwadronieren über "demokratische Werte".
"Zu wenig, zu spät", das wird sich rächen. Donald Trump lässt grüßen.
Roger Pint - Bild: Achim Nelles/BRF
Wieso eigentlich drastisch was Herr Gemenne gesagt hat? Das ist doch auch eins der Probleme alles wird weichgespuelt gesagt.
Fakt ist nun einmal das das politische System in der Wallonie, zumindest gefuehlt, eines der versumpfesten und korruptesten politischen Systeme in der westlichen Welt ist! Und wenn ich an den Fall Cools oder an das System Moreau denke, dann ist der Vergleich mit der Mafia ja garnicht so abwegig.
Ausgezeichneter Kommentar, punktgenau!
Folgendes sollte man in diesem horrenden Sumpf noch beachten:
Alle Parteien - PS, Liberale, CSP/CdH und ECOLO – kassieren von den Gehältern, Entschädigungen… ihrer Mandatare doch Abgaben. Also nicht nur persönliche Bereicherung, sondern auch versteckte Parteienfinanzierung. Haben sie wirklich nichts gewusst?
Wo sind die Reaktionen der SP, der Liberalen, der CSP und ECOLO hier in der DG und vor allem ihrer Mandatare, die ihre Posten in Lüttich, Namur und Brüssel ihren Lütticher Herren verdanken?
Und nicht vergessen: nicht nur die Gemeinden (vor allem der sozialistische Bürgermeister Moreau) hängen drin, sondern auch die Provinz: der Sozialist A. Gilles und der Liberale Denis aus Malmedy sind tief in diesen Skandal verstrickt. Und? Wann wird diese überflüssige Instanz endlich aus dem Verkehr gezogen?
Gerhard Palm
Sehr guter Kommentar! Angenehm zu lesen und zu hören. Inhaltlich erstklassig - Herr Pint, Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen!
-em
Eben ! weil wir zur Wallonie gehören, mischen wir zwangsweise mit. Ja, zwangsweise. Wir sind zu klein, um richtig selbstständig zu agieren, allerdings hat das Folgen, die "anpassen" heissen. In dem "versoffenen" "korrupten" Strudel mitschwimmen