Nach den unschönen Momenten beim ESC in Malmö im vergangenen Jahr, an denen auch ESC-Teilnehmer beteiligt waren, allen voran Joost Klein aus den Niederlanden, haben die Verantwortlichen der EBU einige Änderungen vorgenommen: Es werden nur noch wenige ausgewählte Fotos der Proben veröffentlicht und es wird keine Pressekonferenzen nach den beiden Halbfinals mehr geben.
Einerseits verständlich, andererseits wird die Arbeit vor Ort sehr erschwert. Sei's drum: Hier stelle ich Euch die Lieder im ersten Halbfinale vor, also die direkten Konkurrenten von Belgiens Red Sebastian. Am 69. Eurovision Song Contest nehmen 37 Länder teil, 15 am Dienstag (13. Mai) und 16 am Donnerstag (15. Mai). Je zehn Lieder erreichen das Finale, hinzu kommen die sogenannten Big Five sowie das Gastgeberland Schweiz.
Island - Polen - Slowenien - Estland
Silberne Latzhosen, Islandpullover und silberne Fischerhüte. So präsentieren sich VÆB aus Island mit ihrem Lied "Róa". Die beiden Brüder gründeten das Duo VÆB im Jahr 2022, nachdem sie einen Comedy-Song auf TikTok veröffentlicht hatten. Dieser erregte in den sozialen Medien soviel Aufmerksamkeit, dass sie beschlossen, ihn auf Streaming-Plattformen zu veröffentlichen und seitdem machen Matthías Davíð und Hálfdán Helgi Matthíasson Musik. Nach der nationalen Vorentscheidung sahen sich die Verantwortlichen mit Plagiatsvorwürfen konfrontiert, die aber entkräftet wurden. Das Lied "Róa" (Rudern) beschreibt eine Seereise, bei der jemand in einem kleinen Boot durch stürmische Wellen navigiert. Der Text vermittelt Mut und Entschlossenheit und Mut angesichts der Herausforderungen auf See, wobei der Refrain die Freiheit und das ständige Vorwärtskommen auf den Wellen betont.
Justyna Steczkowska vertrat Polen 1995 zum ersten Mal beim Eurovision Song Contest mit dem Song "Sama" und landete auf dem 15. Platz. Sie ist eine etablierte Künstlerin in Polen, die 19 Studioalben veröffentlicht, über 200 Songs aufgenommen und mehr als 3.000 Konzerte gegeben hat. Und immer gibt es dabei ein paar Songs, deren Bassline so tief ist, dass man sie in der Brust spüren kann. "Gaja" ist definitiv einer davon – der Hall dröhnt durch den Boden der Arena, und für mindestens eine Minute haben alle vergessen zu atmen. Es wird eine dramatische Aufführung sein: Justyna seilt sich zu Beginn vom Dach ab und arbeitet mit viel Pyrotechnik.
Die erste Ballade des ESC 2025 kommt aus Slowenien. "How Much Time Do We Have Left" ist ein Lied über die Zerbrechlichkeit des Lebens und die Inszenierung fängt dieses eindringliche Thema perfekt ein: Sowohl die LED-Wand, als auch der vordere Torbogen funkeln mit Tausenden von Sternen, deren Farbe im Laufe des Liedes von Rot zu Blau wechselt. Klemen aus Slowenien ist Schauspieler, Sänger, Songwriter und Fernsehmoderator. Er moderierte bereits viermal die EMA, Sloweniens nationale Vorentscheidung, und darf in diesem Jahr selbst sein Land vertreten.
Tommy Cash aus Estland ist Sänger und Konzeptkünstler mit einer riesigen Social-Media-Fangemeinde in ganz Europa - er hat sogar schon beim Glastonbury Festival gespielt und bringt seinen einzigartigen Stil nun nach Basel. Tommy trägt das gleiche Outfit wie bei der Vorentscheidung Eesti Laul: blauer Anzug mit der langen roten Krawatte und auch die Choreografie ist weitgehend identisch. Die LED-Kulisse erzeugt eine alpine Landschaft, die zu den Bergen am Bühnenrand passt. Auch, wenn sich die Italiener über manche falsche Aussprache ärgern: "Espresso Macchiato" hat eine richtig tolle Energie – man kann einfach mitsingen.
Spanien - Ukraine - Schweden - Portugal
Neu in diesem Jahr ist der komplette Auftritt der Big Five, sowie Gastgeber Schweiz live in den Halbfinals. Bisher waren lediglich Einspieler der Beiträge gesendet worden. Im ersten Halbfinale sind Großbritannien, Italien und die Schweiz dabei und damit auch stimmberechtigt.
Spanien setzt in diesem Jahr auf Melody und ihren Pop-Knaller "Esa Diva". Melody ist eine etablierte Popkünstlerin in Spanien und hat über 30 Singles und sechs Alben veröffentlicht. "Esa Diva" bringt Sommerpartystimmung auf die Bühne und der Auftritt wurde umfassend überarbeitet, seit Melody Anfang Februar das Benidorm Fest gewonnen hatte. Der Song kommt wie eine Musik in drei Akten rüber und jeder Akt hat seine eigenen Farben und Grafiken, sowie eine eigene Tänzerbesetzung. Das Outfit von Melody vergleichen manche mit einer schwarzen Orchidee, sie wirkt wie ein Gesamtkunstwerk, bevor sie nach kurzer Zeit das Kostüm wechselt und als "Badenixe" wieder zum Vorschein kommt.
Das Trio Ziferblat aus der Ukraine wurde 2015 gegründet und nahm 2019 an X-Factor Ukraine teil, wo die Jungs von niemand geringerem als Andriy Danylko, auch bekannt als Eurovision-Legende Verka Serduchka, betreut wurden. Ziferblat, bestehend aus den Zwillingen Daniel und Valentyn und Schlagzeuger Fedir, definiert sich selbst als Teil der neuen Generation ukrainischer Musik. Bereits im vergangenen Jahr hatte die Band an der Vorentscheidung teilgenommen, diesmal hat es mit "Bird of Pray" geklappt. Der Titel ist ein psychedelisch anmutender Song, der im grellen Neonlicht mit einem Outfit im 1970er-Jahre-Stil vortragen wird. Sehr stylisch und elegant.
Im letzten Jahr gingen für Schweden norwegische Zwillinge an den Start, dieses Jahr ist es das finnische Trio Kevin, Axel und Jakob, auch bekannt als KAJ. "Bara bada bastu" bedeutet "einfach Sauna" - dieses Lied ist eine Einladung an die Eurovision-Fangemeinde, Dampf abzulassen, Stress abzubauen und wie ein Finne richtig einzuheizen. Das Lied ist Klamauk, verbreitet aber unglaublich gute Laune und könnte den Schweden einen weiteren Sieg, es wäre der achte, einbringen. KAJ hatten sich in der Vorentscheidung knapp gegen Måns Zelmerlöw, den ESC-Sieger von 2015, durchsetzen können. Das gab ein bisschen Ärger, aber am Ergebnis hat der nichts geändert.
Die fünfköpfige Band Napa aus Portugal besteht aus Guilherme, Lourenço, Francisco, Diogo und João von der portugiesischen Insel Madeira und veröffentlichte 2019 ihr erstes Album. "Deslocado" wird auf Portugiesisch gesungen und bedeutet übersetzt "Vertrieben". Es ist ein Lied über das Gefühl, in der großen Stadt fehl am Platz zu sein, aber auch über die Gewissheit, jederzeit nach Hause gehen zu können. Die Emotion steht ganz in der Tradition des portugiesischen Fado, doch das mitreißende musikalische Arrangement von "Deslocado" verleiht ihm auch eine moderne Sommerstimmung. Als Einflüsse bezeichnen sie Bands wie die Beatles, die Red Hot Chilli Peppers und die Arctic Monkeys, und diese Einflüsse kann man auch definitiv hören. Und auch, wer kein portugiesisch versteht, kann sich den Emotionen nicht entziehen. Ob Portugal ins Finale einziehen kann, ist aber nicht sicher.
Norwegen - Belgien - Italien - Aserbaidschan
"Lighter" heißt der Beitrag aus Norwegen. Der 19-jährige Kyle Alessandro ist Sänger, Songwriter und Produzent aus Steinkjer in Trøndelag. Sein Vater ist Spanier und er verbringt viel Zeit bei seiner Familie in Málaga. Wenn Kyle die Bühne betritt, herrscht Teenie-Kreischalarm: Bereits mit elf Jahren hatte er sein erstes Album veröffentlicht. Viele Elemente der Inszenierung haben die Norweger von der Vorentscheidung mitgebracht, darunter die Requisite mit den beiden Steinsäulen und den Stufen. Es gab einige Diskussionen darüber, ob er die Rüstung aufgrund der Ähnlichkeit mit dem armenischen Beitrag ändern könnte. Dann hieß es, dass zwar die Rüstung bliebe, aber in einer anderen Version. Ob der Dancepop-Song "Lighter" punkten kann, wird sich zeigen. Die sympathische Ausstrahlung seines Sängers tut es allemal.
Für Belgien geht Red Sebastian mit seinem Lied "Strobe Lights" als Startnummer neun auf die Bühne. Da gibt's nur noch eine Farbe: Rot! Ich persönlich finde "Strobe Lights" ein bisschen sperrig. Es ist ein energiegeladener Elektropopsong, der die belgische Rave-Szene der 1990er Jahre wieder aufleben lässt. Ich hätte mir einen melodischeren Titel von Red Sebastian gewünscht, bei dem seine großartige Stimme mehr und besser zur Geltung kommt. Aber wir werden sehen. Am 13. Mai, dem Tag des Halbfinales, feiert er seinen 26. Geburtstag. Natürlich möchte Seppe Herreman, so der richtige Name von Red Sebastian, sich mit dem Einzug ins Finale das schönste Geschenk machen.
Im Anschluss ein zweiter bereits gesetzter Beitrag: Lucio Corsi singt seine Ballade "Volevo essere un duro" für Italien. Der 31-jährige Singer-Songwriter stammt aus der Toskana, lebt aber mittlerweile in Mailand. Sein unverwechselbarer Stil erinnert sowohl optisch als auch musikalisch an den Glam-Rock der 70er und die zeitlosen Bowie-Pianoballaden. Das ist Musik! "Volevo essere un duro" bedeutet übersetzt "Ich wollte ein harter Kerl sein" und dieses Lied ist eine wunderschöne Hymne für alle, die sich anders fühlen oder mit ihrer Identität hadern. Lucio trägt eine gelbe Bolerojacke mit riesigen Schultern, dazu sein typisches weißes Make-up. Bemerkenswert ist, dass das Sanremo-Festival der Rapper und Liedermacher Olly mit knappem Vorsprung gewonnen hatte. Er hat die Teilnahme für Basel aber aufgrund von Tourneeverpflichtungen abgesagt.
154 Beiträge wurden in Aserbaidschan eingereicht. Die Presse im Land des Feuers soll aber schon zeitig Gerüchte gestreut haben, dass das beliebte Trio Mamagama beim ESC antreten soll und dessen Fans sollen so lange beim Sender Sturm geklingelt haben, bis schließlich die offizielle Bestätigung folgte. Es gab dann zwar noch eine interne Vorauswahl einer Fachjury, aber die favorisierten Mamagama machten das Rennen. Die Eigenkomposition "Run with U" ist ganz im Stil ihrer bisherigen Erfolge und enthält rockige und poppige Klänge, wie auch traditionelle Elemente, die sich sehr harmonisch miteinander verbinden.
San Marino - Albanien - Niederlande - Kroatien
Das kleinste Teilnehmerland beim Eurovision Song Contest ist San Marino, leider auch das erfolgloseste. Seit der ersten Teilnahme 2008 konnte San Marino erst dreimal das Finale erreichen. Diesmal soll es wieder klappen. Die bombastische Vorentscheidung, ganz nach dem Motto "Masse statt Klasse", brachte schließlich als Sieger den 52-jährigen Gabry Ponte mit seinem Lied " Tutto l'italia" hervor. Ponte, bekannt als Mitglied der Turiner Formation Eiffel 65, sang den Song zwar auch beim Sanremo-Festival, aber außer Konkurrenz, sodass einer Teilnahme nichts im Wege stand. Die unterhaltsame Elektronik-Tarantella soll das bisher beste Ergebnis San Marinos (Platz 19 in Tel Aviv, 2019) übertreffen.
"Zjerm" heißt der Beitrag aus Albanien. Er wurde von Beatriçe Gjergji komponiert und von Kolë Laca arrangiert. Gemeinsam treten sie als Duo Shkodra Elektronike auf. Beatrice beschrieb das Lied als "persönliches Werk mit Texten, die menschliches Mitgefühl erforschen" und nannte es "ein albanisches Lied mit modernem Touch". Das zentrale Motiv des Liedes ist Feuer, Zjerm, das Kraft, Reinigung und Erneuerung symbolisiert. Es wird als Verbindung zwischen Tradition und Wandel beschrieben, die auf Stammestänzen beruht. Vorherrschende Farben auf der Bühne sind schwarz und rot.
Einer, der mühelos dass Finale erreichen wird, ist Claude für die Niederlande. Der Singer-Songwriter Claude hat über hundert Millionen Streams und unzählige ausverkaufte Konzerte in den Niederlanden und Belgien, im Juni tritt er beim Pinkpop-Festival auf. In der ESC-Woche überraschten ihn seine Freunde Red Sebastian und JJ (Österreich) bei einem kleinen Event mit der goldenen Schallplatte für seinen Beitrag "C'est la Vie". Claude floh mit seiner Mutter und sechs Geschwistern mit neun Jahren aus dem Kongo in die Niederlande. Aus 331 Bewerbungen wurde Claude für Basel direkt ausgewählt. Er besingt in französischer und englischer Sprache eine Kindheitserinnerung an seine Mutter, die ihm oft eine kleine Melodie vorsang.
Marko Bošnjak aus Kroatien will den zweiten Platz von Baby Lasagna aus dem letzten Jahr wiederholen oder sogar noch mehr. Leider wird die etwas wirre Kombination aus verschiedenen Musikstilen in "Poison Cake" dem nicht gerecht. Marko ist aber gerade mal 20 Jahre alt und etabliert sich schnell als Teil einer neuen, richtungsweisenden Generation kroatischer Musiker. Sein Debütalbum erscheint bald, also ist es ein toller Zeitpunkt für ihn, am Eurovision Song Contest teilzunehmen und seine Fangemeinde weltweit zu vergrößern. Einen der zehn Startplätze für das Finale zu erreichen, wird aber schwer.
Schweiz - Zypern
Als Gastgeberland ist die Schweiz für das Finale gesetzt und muss nicht durch die Qualifikation. Aus 431 Bewerbungen fiel die Wahl der Jury auf Zoë Më, das bedeutet "Leben" (Zoë auf Griechisch) und "Auge" (Më auf Japanisch). Mit zehn Jahren hat sie ihr erstes Lied geschrieben. Ihr Beitrag heißt "Voyage" und soll die Menschen auf eine Reise zu mehr Menschlichkeit mitnehmen. Die wunderschöne Pop-Ballade hat das Zeug, genau das so rüberzubringen.
Theo Evan aus Zypern beendet den Reigen im ersten Halbfinale mit seinem Up-Tempo-Dance-Track "Shh". Er wurde in Nikosia geboren und singt und tanzt seit seinem siebten Lebensjahr. Theo studierte Musik und Performance in den USA und veröffentlichte 2021 seine erste Single. Sein Auftritt ist sehr akrobatisch: Zwei Gerüsttürme werden auf der Bühne aufgestellt, Theo Evan und seine Tänzer bilden immer wieder mysteriöse Figuren, auf die im Liedtext Bezug genommen wird und auch die beiden Gerüste werden immer wieder anders formiert.
Das Halbfinale wird ab 21 Uhr auf VRT, La Une, Tipik und One (Deutschland) übertragen.
Biggi Müller