Große Enttäuschung bei fünf Teilnehmern, die das Finale nicht erreicht haben. Das große ESC-Finale findet ohne die Niederlande, Malta, Lettland, Irland und Aserbaidschan statt. Für unsere Nachbarn tut es mir besonders leid. Das Lied, geschrieben vom niederländischen ESC-Sieger Duncan Laurence, brachte viel Melodie und Ruhe in die teils überladenen Drei-Minuten-Shows. Es traf aber offenbar nicht den diesjährigen Zeitgeist.
Unser Teilnehmer Gustaph muss sich im zweiten Halbfinale mit seinem Song "Because of You" behaupten. In der ganzen letzten Woche, in denen die 37 Nationen ihre Auftritte akribisch vorbereitet haben, wurde er immer sicherer und erhielt viel Sympathie durch seine natürliche Art. Belgien war in den letzten Jahren nicht sonderlich erfolgreich, obwohl unsere ESC-Begeistung immer noch groß ist. Deshalb wurde die beliebte Vorentscheidung wieder eingeführt, in der Hoffnung, eine bessere Platzierung als in den beiden letzten Jahren zu erreichen (2022 - Jérémie Makiese - Platz 19, 2021 - Hooverphonic - Platz 19).
Stichwort Hooverphonic: Hier sang Gustaph, wie auch 2018 bei Sennek, die das Finale nicht erreichte, im Backgroundchor. Um sein endgültiges Outfit macht Gustaph immer noch ein großes Geheimnis. Das übergroße "Beinkleid" in rosa bleibt wohl, aber das weiße Sakko wird er, wie ich das einschätze, noch gegen etwas sehr Ausgefallenes tauschen.
Und das sind Gustaphs Mitbewerber im zweiten Halbfinale:
Dänemark - Armenien - Rumänien - Estland
Um die Nominierung von Reiley für Dänemark hatte es im Vorfeld schon Unruhe gegeben. Seinen Song "Breaking my Heart" sang er bereits im Herbst in Seoul. Für die EBU kein Problem, aber nach den Regeln für die dänische Vorentscheidung schon. Kurzerhand wurden die Regeln geändert, um wohl dem modernen Beitrag eine Chance zu geben. Der 25-Jährige kommt von den Faröer-Inseln, die gerade mal 50.000 Einwohner haben. Reileys Follower-Zahl bei TikTok soll hingegen bei elf Millionen liegen. Im Glitzeranzug mit viel zuckersüßen Pastelltönen, bunten Herzchen, Wölkchen und Emojis lässt er kein Klischee aus. In Korea würde man es lieben. Dass Reiley ständig mit der Kopfstimme singt, was ich etwas nervig finde, ist es fraglich, ob es für das ESC-Finale reichen wird.
Den ESC-Song "Futur Lover" hat Brunette für Armenien selbst geschrieben. Die 21-Jährige will an den Erfolg von Rosa Linn im letzten Jahr anknüpfen. "Snap" kam im Finale auf den 20. Platz, wurde später ein Riesenerfolg und erreichte in Belgien Platz eins der Charts. "Future Lover" beginnt als ruhiger Popsong und wird nach dem balladesken Teil lebhafter. Die letzten Töne haucht Brunette, die ohne Vorentscheidung direkt nominiert wurde, in ihrer Muttersprache.
Nachdem die rumänische Jury im vergangenen Jahr wegen Unregelmäßigkeiten vom ESC ausgeschlossen wurde, wurde die Vorentscheidung in Rumänien grundlegend verändert. Es gab lediglich ein Finale und ausschließlich die Zuschauer entschieden, dass Theodor Andrei mit seinem Lied "D.G.T. (Off and On)" das Land in Liverpool vertreten soll. Allerdings ist er in diesem Jahr einer der größten Außenseiter. Das scheint der rumänischen Delegation und dem ständig hyperaktiven Theodor aber nichts auszumachen. Für ihn scheint der ESC das größte Abenteuer. Bei der Bühnenshow stehen große, grell lodernde Flammen im Zentrum. Theodor trägt einen rosa Anzug und das Geld reichte wohl nicht für ein T-Shirt darunter.
Estland liefert einen meiner Lieblingssongs in diesem Jahr. Was aber nichts heißen will, denn Balladen sind nicht so übermäßig willkommen. Alika interpretiert den Song "Bridges". Wie in der Vorentscheidung am Flügel sitzend, das dann wie von magischer Hand nach einer Weile von allein weiterspielt, während Alika zu Fuß und singend die Bühne erkundet. Sehr viel dramatisches Licht begleitet sie dabei und die LEDs werden in vollem Umfang genutzt. Ein sehr emotionaler Aufritt.
Zypern - Island - Griechenland - Polen
Andrew Lambrou ist Australier mit zypriotischen Wurzeln und hatte schon im vergangenen Jahr an der australischen Vorentscheidung teilgenommen. In diesem Jahr wurde er von Zypern direkt nominiert. Sein Song "Break a Broken Heart" wurde von einem schwedischen Erfolgsautorenteam geschrieben, darunter auch Thomas Steengard. Er hat mit "Only Teardrops" 2013 gewonnen und Michael Schultes Erfolg "You let me walk alone" mitkomponiert. Während der Show entstehen auf den LEDs riesige Wasserfälle, die sich dann in gewaltige Flammen verwandeln. Aber nicht nur auf den LEDs, auch aus dem Bühnenboden schießen reale Flammen hervor. Ein sehr intensives Bühnenbild für einen kraftvollen Auftritt. Andrew ganz in schwarz mit viel nackter Haut.
In ihrer Powerballade "Power" verarbeitet Diljá aus Island eine toxische Beziehung. Ihre Botschaft der Selbstverbesserung und der Rückgewinnung ihrer eigenen Kraft fand großen Anklang bei den Isländern. Abseits der Bühne ist Diljá Physiotherapiestudentin und engagierte CrossFit-Athletin. Und so tobt sie auch bei ihrer Show über die Bühne und kann dabei noch kraftvoll singen. Als selbsternannter „Eurovision-Nerd“ war es schon immer Diljás Traum, ihr Land beim Wettbewerb zu vertreten.
Die Griechen sind ja bekannt für ihr Temperament, das konnte ich schon viele Jahre beim ESC erleben. Als bekannt wurde, dass Victor Vernicos Griechenland mit dem Titel "What they say" vertreten soll, schrie die zweitplatzierte, Melissa Mantzoukis, Zeter und Mordio und wollte die Verantwortlichen sogar verklagen. Die Gerichte lehnten eine einstweilige Verfügung ab und so wurde die Vorentscheidung quasi in einem Gerichtssaal entschieden. Victor ist mit seinen 16 Jahren der jüngste Teilnehmer Griechenlands. Auf der großen Eurovision-Bühne fühlt er sich aber scheinbar recht wohl, vielleicht, weil er dort von riesigen Victors (also von sich selbst in überlebensgroß) auf den LED-Wänden begleitet wird. Sein Popsong hat Ohrwurm-Charakter.
"Ein Lied ohne Wiedererkennungswert" - so ist der Beitrag "Solo" von Blanka für Polen auf den Punkt zu bringen. Die Bühne in Liverpool wird zu der Reggae-angehauchten Nummer in eine große Strandbar mit entsprechender Beachparty mit vier Tänzern und Tänzerinnen verwandelt. Ihr Strandkleid ist passend dazu cocktailfarben und einen kleinen Trickkleid-Effekt gibt es auch. Die Polen lassen scheinbar nichts aus in diesem Jahr. Unbeschwerte Sommerfrische im polnischen Strandbad. Und weil sich Popo-Gewackel immer ganz gut macht, wird das wahrscheinlich auch für das Finale reichen.
Slowenien - Georgien - San Marino - Österreich
Der Song "Carpe Diem" von "Joker Out" aus Slowenien ist eines der Lieblingslieder von Gustaph bei diesem ESC, wie er mir im Interview verriet. Mit den fünf Jungs hat sich der Belgier in seiner Zeit hier sehr angefreundet. Die Slowenen wollen hier vor allem Spaß und kräftig abfeiern. Ihr Lied entstand in Hamburg und wird auf slowenisch gesungen. Die Botschaft ist klar: Welche Steine dir auch in den Weg gelegt werden, Musik und Tanz sind immer die richtige Antwort.
Iru Khechanovi vertrat Georgien 2011 schon beim Junior Song Contest mit der Gruppe Candy. Ihr Beitrag "Echo" wurde intern ausgewählt. Iru steht auf einen Podest mitten auf der Bühne, die Windmaschine bläst auf Hochtouren und wie im Video wehen entsprechend sowohl ihre langen Haare, als auch ihr schneeweißes Kleid wie in einem kräftigen Sturm. Ordentlich Bühnennebel gibt es obendrein auch noch, der von der Windmaschine ebenfalls kräftig durchgewalkt wird. "Echo" ist ein dramatisch-martialischer Titel mit viel Trommeln und Pauken, aber auch ruhigen Passagen.
Der größte Wackelkandidat bei diesem ESC ist für mich der Beitrag aus San Marino. Das kleinste Teilnehmerland schickt in diesem Jahr, nach einer großen Vorentscheidung, die italienische Formation "Piqued Jacks" mit "Like an Animal" ins Rennen. Die Performance des schrill-hektische Popsongs ist ganz auf Partymodus mit viel Eleganz und Glitter ausgerichtet. In dem dunkelroten Bühnenbild funkeln die mit Pailletten besetzten dunklen Jacken ein wenig wie dezente Discokugeln. Die Party wird aber wohl mit dem Halbfinalauftritt zu Ende sein.
"Wer zur Hölle ist Edgar?" fragen Teya & Salena für Österreich. Die beiden sind das erste weibliche Duo, das für die Alpenrepublik an den Start geht. "Who the Hell is Edgar" ist eine selbstgeschrieben Uptempo-Nummer und wurde durch den ORF in Verbindung mit einer 25-köpfigen Jury direkt nominiert. Mit "Edgar" ist übrigens Edgar Allan Poe gemeint. Vor allem die perfekten Tanzeinlagen und die guten Stimmen der beiden begeistern. Die Inszenierung ist insgesamt sehr gestylt und cool. Und Herr Poe darf natürlich auch nicht fehlen. Auch wenn es nicht mein Geschmack ist (aber danach geht es ja hier nicht!), Österreich wird als Gesamtsieger des zweiten Semis gehandelt.
Albanien - Litauen - Australien
Das Festival i Këngës ist der musikalische Höhepunkt des Jahres in Albanien. Für den Song "Duje" gibt es in Sachen Theatralik und Dramatik nur Höchstnoten. Die Inszenierung wurde gemeinsam mit der ESC-erfahrenen schwedischen Choreographin Sacha Jean-Baptiste erarbeitet. Sie ist in diesem Jahr auch für die Schweiz zuständig. Die Bühne wirkt dunkel, die ganz in die albanischen Nationalfarben schwarz und rot gehüllt ist. Albinas kraftvolle Stimme verfehlt ihre Wirkung nicht. Die übrigen Mitglieder der Familie Kelmendi konzentrieren sich eher auf die Harmonien und ein paar Tanzeinlagen. Zum Abschluss gibt es noch eine kräftige Portion Pyro.
Monika Linkytė hat bereits 2015 an der Seite von Vaidas Baumila mit dem Song "This Time" beim Eurovision Song Contest teilgenommen. In diesem Jahr singt sie solo für Litauen und bringt mit ihrem Beitrag "Stay" hochfliegende Melodien in den Wettbewerb. Das Lied basiert auf lokaler Folklore, wobei der Text "Čiūto Tūto" oft in litauischen Volkstänzen als magische Beschwörungsformeln verwendet wird. Monika steht in ihrem eleganten orangen Kleid auf der Bühne und wird von vier sehr stimmgewaltigen Backing-Singers begleitet.
Warum nimmt Australien an einem europäischen Wettbewerb teil? Diese Frage wird immer wieder gestellt. In Australien gibt es eine riesige ESC-Fangemeinde und die kämpft schon seit Langem dafür, endlich teilnehmen zu dürfen. Außerdem gehört Australien seit 1973 auch zur EBU und möchte aktiv den Horizont der Bevölkerung erweitern und ihr die Kulturen ferner Länder näher bringen. 2015 in Wien war es dann endlich soweit. Seitdem sind sie jedes Jahr dabei. Zum erstem Mal wurde in diesem 40. Jubiläumsjahr der ESC-Übertragung auf die beliebte Vorentscheidung verzichtet und die Band Voyager mit dem Lied "Promise" als Teilnehmer vorgestellt. Das Metal-Quintett verarbeitet auch nostalgische Elemente in seinem Song. Voyager lassen den Rock der 80er aufleben und strahlen dabei eine große Professionalität aus. Natürlich gibt es kräftig Pyro und ein reales Auto ist zentraler Bestandteil der Inszenierung.
Auch die Beiträge der sogenannten Big Five und der Ukraine werden in den Halbfinals vorgestellt, allerdings außer Konkurrenz. Im zweiten Semi sind das Spanien, Ukraine und Großbritannien. Diese Beiträge werde ich gesondert vorstellen. Die Übertragung ist am Donnerstag (11. Mai) auf Éen um 20:55 Uhr, auf La Une und im deutschen Fernsehen auf One um 21:00 Uhr.
Biggi Müller