Im Vorfeld gibt es ja immer schon Spekulationen darüber, wer eine Favoritenrolle hat und wer vermeintlich untergehen wird. Ein Blick auf die Buchmacherquoten kann eine Tendenz sein. Demnach werden Schweden, Finnland und Frankreich die ersten drei Plätze belegen (Stand: 8. Mai) und unser Interpret Gustaph das Finale erreichen. Aber dazu mehr im Beitrag zum zweiten Halbfinale. Bis dahin kann er sich noch ein bisschen vorbereiten.
Norwegen - Malta - Serbien - Lettland
Norwegen eröffnet als erster Beitrag im ersten Halbfinale den ESC 2023 in Liverpool. Alessandra ist eine norwegisch-italienische Singer-Songwriterin, die dank ihrer Debütsingle, dem Eurovision-Beitrag "Queen of Kings", schnell schnell bekannt wurde. "Queen of Kings" wurde von Alessandra selbst, dem norwegischen Komponisten Henning Olerud, der Ghostwriterin Linda Dale und dem Autor und Produzenten Stanley Fernandez mitgeschrieben, der Tracks mit den Eurovision 2021-Stars TIX und Flo Rida veröffentlicht hat! Alessandra sagt, dass der Song eine Botschaft der Selbstliebe trägt und dass sie Zuhörer jeden Alters und jeden Geschlechts dazu inspirieren möchte, ihre innere Königin der Könige zu verkörpern.
Von den 40 Interpretinnen und Interpreten, die in Malta um das Ticket für Liverpool kämpften, haben es "The Busker" mit dem Titel "Dance (our own Party)" ergattert. Wie der Name schon sagt, begann die Band mit Straßenmusik auf den Straßen von Malta. Die Indie-Pop-Band fühlt sich von den Beatles und den Bee Gees beeinflusst. Die eingängige Funky-Nummer bleibt vor allem durch den Saxofon-Part im Gedächtnis hängen. Ein dreiminütiger Gute-Laune-Song mit ernstem Hintergrund, bei dem sich jemand mit sozialer Angst befasst und eine Party verlässt, um Zeit mit Freunden in einer angenehmeren Umgebung zu verbringen. Wer sich fragt, warum sie dicke Pullis tragen: Die entpuppen sich als Trickpullover und werden im Verlauf des Auftritts zu glitzernden Shirts.
Luke Black repräsentiert Serbien. Seine einzigartige Art von Indie-Techno-Pop hat ihm in den Augen seiner heimischen Medien den Titel des "serbischen Pop-Alchemisten" eingebracht, und international erweist er sich als einer der gefragtesten Exporte seines Landes. In den letzten zwölf Monaten hat er sowohl eine ausverkaufte Tournee in China durchgeführt als auch eine Show im Techno-Opern-Stil im Berliner Berghain, dem weltweit berühmtesten Nachtclub für elektronische Musik, kreiert. Der Titel seines düsteren Elektro-Songs heißt "Samo mi se spava" (Ich bin sehr müde) und wird wie in der Vorentscheidung präsentiert: Luke Black (der mich etwas an den jungen Hugh Grant erinnert) liegt zuerst auf seinem wolkigen Bett (es könnte auch eine Muschel sein), um dann seine Tänzer und Tänzerinnen von Schläuchen zu befreien.
Die vierköpfige Formation "Sudden Lights" aus Lettland versuchte schon 2018 am ESC in Lissabon teilzunehmen, scheiterte als Zweitplatzierte aber knapp. In diesem Jahr trat die Band um Sänger Andrejs Reinis Zitmanis mit dem eigens komponierten Titel "Aija" an. Das Liebeslied handelt von einer schlafenden Frau dieses Namens. Die Jungs werden in einer Art Clubkonzert mit riesigen Standscheinwerfern inszeniert, bei dem sehr gedeckten Farben vorherrschend sind. Die ersten Proben mussten improvisiert werden, weil ihre eigentlichen Bühnenkostüme irgendwo auf der Reise zwischen Lettland, Deutschland und Liverpool verloren gingen. Inzwischen sind entweder die Koffer eingetroffen oder man hat sich in Liverpool neu eingekleidet.
Portugal - Irland - Kroatien - Schweiz
Roter Satin und Marabufedern dominieren den Auftritt von Portugal. Mimicat verspricht zumindest farblich ihre musikalische Leidenschaft auf der Bühne durch ein tiefrotes Kleid zu unterstreichen und auch der Rest der Bühne wirkt wie in dunkelrotes Licht getaucht. Mimicat (auch bekannt als Marisa Mena) kombiniert in den von ihr geschriebenen Songs gerne ihre gefühlvolle Stimme mit eingängigen Melodien. Sie singt und nimmt seit ihrem neunten Lebensjahr auf, stürmte aber 2014 mit der Veröffentlichung ihres von der Kritik gefeierten Debütalbums „For You“ ganz groß in die Szene. In diesem Jahr wird sie nicht nur nach Liverpool reisen, sondern auch ein neues Album herausbringen, das natürlich "Ai Coração" enthalten wird – den Eurovision-Beitrag, den Mimicat zusammen mit Luís Pereira geschrieben und produziert hat. Für alle, die sich fragen, Mimicat hat tatsächlich eine Katze. Ihr Name ist Brownie.
In Irland ist man immer noch im Rausch der Erinnerungen an die goldenen Jahre der 7 Siege und der Superplatzierungen. Die ernüchternden Ergebnisse der letzten Jahre (wenn man von 2011 und 2012 absieht), soll in diesem Jahr die Band "Wild Youth" mit dem Song "We are one" beenden. Die 2018 in Dublin gegründete Band aus vier Freunden kombiniert Rock mit eingängigen Pop-Harmonien. Der charismatische Leadsänger Conor O'Donohoe hat sich auch als internationaler Komponist einen Namen gemacht. Die Jungs haben sich die silbernen Säcke aus dem Video wieder von den Köpfen gezogen und Leadsänger Conor gibt sich ganz als Glamrocker im goldenen Anzug, mit dem es fast unmöglich ist, wenn man mal muss ... na ja Sie wissen schon! Die Iren gönnen sich sogar eine goldene Showtreppe. Dazu gibt es ein kräftiges Feuerwerk. Ob sie das Finale erreichen, ist allerdings sehr fraglich.
Mit der Formation "Let3" schickt Kroatien einen extrem polarisierenden Beitrag nach Liverpool. Der Antikriegssong "Mama ŠČ!" ist ein Feuerwerk an Ironie und vollgepackt mit politischen Anspielungen. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Diktatoren sind beabsichtigt. "Let 3" kommen aus Rijeka, dem Geburtsort der kroatischen Punkszene, wo sie sich schnell einen Namen dafür machten, energiegeladene Darbietungen mit Live-Kunst, Gesellschaftskommentaren, übertriebenem Theater und ausgefallenen Kostümen zu verbinden. In Kroatien ist die Band für ihre provokativen Auftritte bekannt und es ist ihnen nicht fremd, das Publikum zu schockieren, indem sie nackt auftritt. Bei ihrem Auftritt in Liverpool bleibt wenigstens die Unterwäsche an, vielleicht auch nur aufgrund des Regelwerks der EBU.
Die Schweiz verzichtete auch in diesem Jahr wieder auf eine Vorentscheidung und nominierte Remo Forrer direkt. 2020 gewann er die dritte Staffel von "The Voice of Switzerland". Sein Titel "Watergun" ist eine stimmgewaltige Ballade, in der Remo seine verschiedenen Stimmlagen voll einsetzen kann. "Watergun" hat die Botschaft, dass wir durch die Konfrontation mit den derzeit herrschenden Kriege und Krisen mit den Folgen von Entscheidungen leben müssen, die wir nicht getroffen haben. Der 21-Jährige aus dem Kanton St. Gallen ist stolz darauf, sein Land dort zu vertreten, wo Musik so groß geschrieben wird.
Israel - Moldau - Schweden - Aserbaidschan
Zum ersten Mal seit 2014 hat Israel seinen Eurovisionskandidaten direkt nominiert und nicht über eine Vorentscheidung. Die Wahl traf auf Noa Kirel, die freie Hand bei der Songauswahl und der künstlerischen Umsetzung hatte. In einem Songwriting-Camp sollte dann das passende Lied entstehen. An "Unicorn" haben neben Noa selbst drei weitere Autoren und Produzenten mitgearbeitet. Darunter auch Dorn Medalie, der bereits zahlreiche ESC-Hits komponiert hat und mit "Toy" 2018 den Contest gewinnen konnte. "Unicorn" ist eine wilde Mischung aus Pop, Dance und R´n´B, schwer zugänglich. Im Zentrum der israelischen Inszenierung steht eine LED-Box, um die die Kameras herumsausen. Noa wird unterstützt von fünf ganz in Schwarz gekleideten Tänzern und Tänzerinnen, alles wirkt sehr auf Hochglanz poliert, wobei Wetlook angesagt zu sein scheint. Wie es zu einem Dance-Song beim ESC gehört, wird auch kräftig Pyrotechnik eingesetzt.
Pasha Parfeni ist beim ESC kein unbeschriebenes Blatt. 2012 wurde er in Baku Elfter, im Jahr darauf als Autor ebenfalls Elfter. Als Mitglied der Band "SunStroke Project" belegte er 2017 in Kiew für Moldau den dritten Platz. Jetzt geht er mit dem sehr mystischen Song "Soarele si Luna" an den Start. Der esoterische Text stammt aus der Feder von Pashas Frau Yuliana Scutaru. Pasha hüpft und tanzt über die Bühne mit mystischen Kostümen wie ein Schamane. Die Chorsängerinnen unterstreichen den mystischen Touch des Liedes mit Hirschgeweihen.
Elf Jahre nach ihrem Sieg in Baku mit dem ESC-Kulthit "Euphoria" (Nummer-Eins-Hit in 21 Ländern) will Loreen für Schweden Eurovisionsgeschichte schreiben und den Sieg noch einmal nach Hause holen. Seit ihrem Sieg hat Loreen das Publikum mit ihrer Stimme, ihrem einzigartigen künstlerischen Ausdruck und ihren fesselnden Texten verzaubert. In diesem Jahr heißt ihr Song "Tattoo" und reicht nicht im entferntesten an Euphoria heran. Es bleibt drei Minuten dasselbe und hat keine Höhepunkte. Allerdings werden Loreens Stimmgewalt und die Kombination aus ihren rhythmischen Bewegungen und der Inszenierung wohl kaum verhindern, ins Finale einzuziehen und einen der vordersten Plätze zu erzielen. Auf der Bühne ist sie spärlich bekleidet und räkelt sich auf einer Art riesigem Schwenkgrill, dessen "Deckel" ziemlich nah auf sie niedergeht.
Lange ließ Aserbaidschan die Öffentlichkeit im Unklaren darüber, wer das Land beim ESC vertreten soll. Erst im März wurden die Zwillinge Tural und Turan mit dem selbstkomponierten Lied "Tell me more" gegen vier weitere Kandidaten intern auserkoren. Der Bandname lautet "TuralTuranX". Seit 2019 machen die 22-Jährigen professionell Musik, zuvor waren sie als Straßenmusiker in ihrer Heimat unterwegs. Als Startnummer gleich nach Schweden ist es mit der ruhigen Retronummer nicht einfach. In sehr stylischem Outfits stehen die eineiigen Zwillinge auf einem herzförmigen Podium und singen ihr ruhiges Lied, das wie eine musikalische Hommage an Liverpool und die Beatles klingt.
Tschechien - Niederlande - Finnland
Sechs Musikerinnen aus Tschechien, Bulgarien, der Slowakei und Russland lernten sich vor einigen Jahren an der Musikhochschule kennen und machen seitdem als Gruppe "Vesna" Musik. Bei der ersten Vorentscheidung seit 15 Jahren setzten sie sich mit dem Song "My Sister's Crown" durch. In Liverpool stehen sie in schlichten rosafarbenen Kostümen auf der Bühne, ganz im Kontrast zu den wilden Outfits aus dem offiziellen Video. "My Sister's Crown" wird neben Englisch in allen Muttersprachen der Sängerinnen gesungen und ist eine Performance, die heraussticht. Rhythmuswechsel, hymnischer mehrstimmiger Gesang, Ethnologie-Pop-Elemente gepaart mit Rap-Einlagen bringen eine gelungene Performance auf die Bühne.
Auch unsere Nachbarn Niederlande haben sich für eine Direktnominierung entschieden. Ein senderinternes Gremium war sich schnell über den Vorschlag von Duncan Laurence (ESC-Sieger 2019) einig: Das Duo Mia Nicolai & Dion Cooper mit dem Song "Burning Daylight", den Laurence gemeinsam mit seinem Lebensgefährten geschrieben hat. Da ist es kein Wunder, dass die Ballade mit dem anspruchsvollen, aber traurigen Text an den Siegerbeitrag von 2019 in Tel Aviv erinnert. Die Story hinter dem Lied wendet sich aber zum Positiven: Nach Niederlagen soll man wieder aufstehen, nach vorne schauen und neu beginnen. Mia Nicolai und Dion Cooper stehen auf einer sehr kleinen Bühne und drehen sich umeinander, was einen große Intimität vermitteln. Das spärliche Licht im Hintergrund und die dunklen Kostüme tragen zusätzlich dazu bei. Darüber hinaus gibt es obendrein noch kräftig Bodennebel.
Einer der großen Favoriten auf den Sieg ist Käärijä aus Finnland. Dahinter verbirgt sich der Rapper Jere Pöyhönen. Seit seinem Sieg mit dem Titel "Cha Cha Cha" in der finnischen Vorentscheidung wurde 29-Jährige in seiner Heimat sehr populär. Mit dem Metal-Rap-Song will Käärijä an den Erfolg von Lordi im Jahr 2006 anknüpfen, die den ersten Sieg für das skandinavische Land erzielten. Immer und überall trägt er sein knallgrünes Bolero-Top und auch sonst scheint die Inszenierung sehr ähnlich mit der Vorentscheidung zu sein, einschließlich der zwei rosaroten Turnier-Tanzpaare, die allerdings hier in Liverpool aus einer großen Holzkiste heraus kommen. Die große Käärijä-Show beginnt in einer riesigen Holzkiste, anschließend tanzt er zwischen alten Euro-Paletten und feuert dabei kräftig und wüst seine Tanzpaare an. Zum Finale der Show gibt es natürlich noch einen gewaltigen Pyro-Donner.
Auch die Beiträge der sogenannten BIG5 und der Ukraine werden in den Halbfinale vorgestellt, allerdings außer Konkurrenz. Im ersten Semi sind das Frankreich, Deutschland und Italien. Diese Beiträge werde ich gesondert vorstellen. Die Übertragung ist am Dienstag, dem 9. Mai auf Éen um 20:55 Uhr und im deutschen Fernsehen auf ONE um 21:00 Uhr.
Biggi Müller