Rigoletto, Aida, Nabucco oder La Traviata sind alle weltberühmte Opern von Giuseppe Verdi. Doch der Direktor der Königlichen Oper der Wallonie, Stefano Pace, verlässt die ausgetretenen Pfade des großen Standardrepertoires und will dem Publikum eine ganze Reihe von unbekannten und selten gespielten Werken vorstellen. Im Fall der vergangenen Produktion in Lüttich, "Il Turco in Italia" von Gioacchino Rossini, wurde dieses Wagnis zu einem großen Erfolg.
Nun steht zum ersten Mal überhaupt in der langen Geschichte der Lütticher Oper "Alzira" auf dem Spielplan. Und zudem feiert mit dieser Produktion der neue Chefdirigent der Oper, Giampaolo Bisanti, seinen Einstand in der Maasstadt.
Es gibt durchaus einen Grund, warum "Alzira" nach ihrer Premiere in Neapel im Jahr 1845 so schnell von der Bildfläche beziehungsweise von den Opernbühnen verschwand: Die Handlung ist nicht nur sehr naiv, sondern auch des Öfteren ganz einfach unlogisch. Hintergrund ist die spanische Eroberung von Lateinamerika und der Kampf gegen die Inka, die ihre Heimat mit allen Mitteln gegen die ausländischen Aggressoren verteidigen wollen.
Namensgeberin der Oper ist Alzira, die Tochter des Inkakönigs, die einen Stammeshäuptling namens Zamoro liebt, aber auch von dessen Feind, dem spanischen Gouverneur von Peru, begehrt wird. Es entwickelt sich ein Hin und Her, bei dem der Häuptling immer mal wieder zum Gefangenen des Gouverneurs wird und hingerichtet werden soll, dann aber entweder selbst entkommen kann oder dank der Fürsprache von Alzira freigelassen wird.
Zum letzten Mal wird Zamoro dann vor dem Scheiterhaufen bewahrt, als Alzira gezwungenermaßen einwilligt, den Gouverneur zu heiraten. Kurz vor dieser Hochzeit kann Zamoro erneut aus der Gefangenschaft entkommen und ersticht den Gouverneur, der dann in seinen letzten Atemzügen dem Mörder verzeiht und den beiden Geliebten seinen Segen gibt.
Die Handlung hat also so ihre Schwächen. Trotzdem kann Maestro Giampaolo Bisanti dem Werk viel Gutes abgewinnen. Denn musikalisch ist "Alzira" tatsächlich interessant und abwechslungsreich. Das Orchester spielt eine besonders wichtige Rolle, um diese Oper kurzweilig zu gestalten, und das gelingt den Lütticher Musikern auch.
Allerdings waren zumindest bei der Aufführung am Dienstagabend zu Beginn einige Ungenauigkeiten im Zusammenspiel zwischen Orchester und Chor zu bemerken. Einige der Gesangssolisten sind zum ersten Mal in Lüttich zu sehen und zu hören. Sie alle haben eine ordentliche Leistung abgelegt, doch der ganz große Gänsehauteffekt bleibt aus.
Auch was die Inszenierung und das Bühnenbild betrifft, ist eher Schlichtheit angesagt und die gesamte erste Hälfte des Stücks spielt sich auf einer rechteckigen, mit Schilf bewachsenen Sandlandschaft ab. Da hätte man sich vor dem Hintergrund der farbenfrohen Inka-Kultur doch etwas mehr Einfallsreichtum gewünscht.
Als Fazit könnte man sagen, Hut ab vor der Königlichen Oper der Wallonie, dass sie unbekannte Werke programmiert und dem Publikum neue und spannende Erlebnisse bringen will. Manchmal entdeckt man so eine vergessene Perle, wie es bei "Il Turco in Italia" der Fall war und manchmal verlebt man eben nur einen interessanten Opernabend, ohne dass das Werk selbst einen sehr tiefen Eindruck hinterlässt.
Alzira wird jetzt mit Sicherheit nicht als ein wiederentdecktes Juwel in die Musikgeschichte eingehen, aber ein Besuch der aktuellen Produktion in der Königlichen Oper der Wallonie lohnt sich allemal, denn wer weiß, wann diese seltene Verdi-Oper das nächste Mal in unserer Nähe gegeben wird.
Patrick Lemmens