Eines vielleicht vorweg: Gewonnen haben die sechs Finalisten jetzt schon, nämlich den Titel "Preisträger" des Königin Elisabeth-Wettbewerbs für Klavier des Jahres 2021. Wie wir mittlerweile wohl alle wissen, wurde ja die Zahl der Finalisten in diesem Jahr corona-bedingt auf sechs begrenzt, im Gegensatz zu deren zwölf in einem normalen Jahr.
Und in den "normalen" Jahren gibt es im Finale nicht nur den Anreiz, den Wettstreit als Sieger zu beenden; schon das Erreichen von einem der ersten sechs Plätze garantiert den Titel "Preisträger" des Wettbewerbs, wogegen die Kandidaten auf den Rängen sieben bis zwölf sich mit der Bezeichnung "Laureat" begnügen müssen. Mit dem Erreichen einer der vorderen Plätze sind neben dem Ruhm und einem ansehnlichen Preisgeld auch eine Reihe von Konzertverpflichtungen im In- und Ausland verbunden, die durchaus als Sprungbrett für eine internationale Solistenkarriere genutzt werden können.
Die sechs Finalisten haben sich also mittlerweile durch zwei sehr anspruchsvolle Vorrunden gekämpft und sind von der hochkarätigen Jury als die besten der ursprünglich 58 Kandidaten ausgewählt worden. Dabei war diese Aufgabe in diesem Jahr besonders schwierig; Gilles Ledure, Generaldirektor des Kulturzentrums Flagey und Vorsitzender der Jury, sagte in einem Interview nach dem Halbfinale, seiner Meinung nach hätten alle 58 Kandidaten der ersten Runde es verdient gehabt, im Finale der diesjährigen Ausgabe des Wettbewerbs zu stehen - so hoch sei das Niveau gewesen und so deutlich spürbar die Steigerung der Qualität der jungen Pianisten aus der ganzen Welt im Vergleich zu den vergangenen Jahren.
Aber da nun einmal nur sechs Kandidaten das Finale erreichen konnten, haben die Juroren die nackte Arithmetik sprechen lassen. Sowohl in der Vorrunde, als auch im Halbfinale vergab jeder Juror seine Punkte vollkommen isoliert, ohne Beratung mit seinen Kollegen. Dann wurden nach Abschluss aller Auftritte die Punkte addiert, und die Teilnehmer mit den meisten Punkten erreichten die nächste Runde. Im Finale sind dies also nun noch sechs Pianisten im Alter zwischen 26 und 29 Jahren. Auffällig ist, dass es sich ausschließlich um junge Männer handelt, und vor allem, dass sie aus nur drei unterschiedlichen Nationen kommen: Drei von ihnen sind Russen, zwei sind Japaner und ein Kandidat stammt aus Frankreich.
Ihr Programm im Finale besteht aus einem Pflichtwerk und einem Wahlwerk, beides Klavierkonzerte, die vom Belgian National Orchestra unter ihrem Chefdirigenten Hugh Wolff begleitet werden. Das Pflichtwerk ist für alle Kandidaten gleich, eine neue Komposition des Franzosen Bruno Mantovani, mit dem Titel "D'un Jardin Féérique'; Mantovani ließ sich hierbei von einem Teil aus dem bekannten Werk "Ma Mère l'Oye" von Maurice Ravel inspirieren.
Die sechs Finalisten haben dieses Pflichtwerk erst in der vergangenen Woche einstudiert, und die Weltpremiere fand am Montagabend beim Auftritt von Vitaly Starikov statt, des ersten Kandidaten im Finale des diesjährigen Wettbewerbs. Dessen Wahlwerk war übrigens das Klavierkonzert Nr. 1 von Tschaikowsky. Neben dem monumentalen Klavierkonzert Nr. 2 von Johannes Brahms, das die Finalisten Tomoki Sakata und Jonathan Fournel ausgewählt haben, werden wir ausschließlich russische bzw. sowjetische Wahlwerke hören: Keigo Mukawa spielt das 2. Klavierkonzert von Sergei Prokofjew, und sowohl Sergei Redkin als auch Dmitry Sin versuchen die Jury mit dem 3. Klavierkonzert von Rachmaninov zu überzeugen.
Am kommenden Samstagabend geht der 20. "Concours Reine Elisabeth" für Klavier mit dem Auftritt von Jonathan Fournel zu Ende. Gegen 23 Uhr werden wir dann wissen, wer der Nachfolger von Lukas Vondracek sein wird, der den letzten Wettbewerb für Klavier vor fünf Jahren gewonnen hat.
Patrick Lemmens