Über vier Stunden reine Musik erwartet die Besucher der Lütticher Oper und keine Minute wird es einem langweilig. Das liegt zum einen an Verdis großartiger Musik, zum anderen an der spannenden Geschichte und deren in jeder Hinsicht opulenten Umsetzung.
Dank der Wahl der ersten Fassung von Verdis "Don Carlos" wird die Handlung für jeden Besucher sehr klar, zumal Mazzonis, wie wir es von ihm kennen, für eine verständliche, eher traditionelle Inszenierung optiert. Große Bilder sind da angesagt: Sieben Mal wird das Bühnenbild umgebaut, über 400 Kostüme wurden geschneidert, eine Meisterleistung der Kostümabteilung, die ihre Wirkung zeigt.
Musikalisch ist die umfangreiche und komplexe Partitur bei dem ehemaligen Chefdirigenten der Lütticher Oper, Paolo Arrivabeni, in besten Händen. Man spürte, dass Dirigent und Orchester glücklich waren, wieder einmal miteinander zu arbeiten. Arrivabeni schafft es, die oft dunklen Seiten der Partitur musikalisch in Szene zu setzen. Schon aus dem Orchestergraben entwickelt die ganze Spannung und ist die Verzweiflung der Protagonisten zu hören. Denn die Geschichte ist alles andere als ein genüssliches Zuckerschlecken.
Während in der literarischen Vorlage der Schiller-Tragödie neben der Dreiecksgeschichte zwischen Don Carlos, Philipp II. und Elisabeth der politische Aspekt der von den Spaniern unterdrückten Flamen eine wichtige Rolle spielt, konzentriert sich Verdi auf die Liebesgeschichte, ohne dabei das Historische ganz außer Acht zu lassen. Aber im Zentrum steht eben die Liebe von Don Carlos zu Elisabeth, die aber Carlos' Vater, König Philipp I., heiraten muss.
Während in den nachher entstandenen italienischen Fassungen des Werkes dies nur schwer verständlich wird, ist es in den ursprünglichen französischen Versionen dank des vorangestellten sogenannten "Fontainebleau-Aktes" weniger problematisch. Hier wird die Vorgeschichte erzählt und später wird auch dank einer Schleierszene die Verwechslung von Elisabeth und Prinzessin Eboli nachvollziehbar.
Mazzonis greift sogar auf die allererste der beiden französischen Fassungen zurück, dadurch gewinnt er einige wunderbare musikalische Momente, zum Beispiel ein herrliches Duett von Eboli und Elisabeth. Allerdings verzichtet Mazzonis zu Recht auf das rund 20-minütige Ballett, das Verdi auf Drängen des Pariser Publikums hatte hinzufügen müssen.
Dass die Lütticher Premiere zu einem wahren Triumph wurde, ist auch den Sängern zu verdanken. Mazzonis versteht es immer wieder, tolle Stimmen zu verpflichten. Allen voran muss unser Landsmann Lionel Lhote in der Rolle des Rodrigue hervorgehoben werden. Lothe entwickelt sich wirklich zu einem der herausragenden Baritone der internationalen Opernszene. Mit voller Stimme, feiner Farbgebung und einer mustergültigen Diktion ist er ein phantastischer Rodrigue.
Ildebrando d'Arcangelo, ohnehin einer der ganz großen Sänger unserer Zeit, steht ihm als Philipp II. in nichts nach. Nicht ganz so glücklich war die Besetzung des Don Carlos mit Gregory Kunde. Mal abgesehen davon, dass er rein altersmäßig eher der Vater als der Sohn von Philipp II. sein könnte, brauchte er doch recht lange, um auf Touren zu kommen. Anfangs wirkte sein Tenor etwas forciert, was sich aber im Laufe des Abends besserte.
Kate Aldrich sang durchwegs überzeugend die Eboli und dass Yolanda Auyanet von Mazzonis vor Premierenbeginn als erkrankt angekündigt wurde, merkte man nur an einigen kleinen Unsicherheiten in den tiefen Passagen. In den Höhen begeisterte auch sie.
Es war ein in jeder Hinsicht opulenter Opernabend, der vom Publikum zu Recht mit lang anhaltenden Ovationen bedacht wurde. Bis zum 14. Februar steht "Don Carlos" noch auf dem Spielplan der Königlichen Oper der Wallonie.
Hans Reul
The production looks absolutely gorgeous! Hoping for a TV broadcast 🙂