Das Bühnenbild dieser Co-Produktion der Lütticher Oper mit sieben weiteren Opernhäusern wird von einer riesigen Spiegelwand bestimmt, die schräg geneigt immer wieder neue Perspektiven des realen Spiels auf der Bühne wiedergibt. Eine ebenso einfache wie schlüssige Idee für eine Oper, die uns in die Unterwelt führt. Denn es wird die Geschichte von Orpheus und Eurydike erzählt, die so viele Komponisten zu Opern anregte. Ausgehend von Monteverdis "Orfeo", dem Grundstein der europäischen Opernliteratur überhaupt, über Offenbachs "Orphée aux enfers" oder Henzes "Orpheus" und eben den verschiedenen Fassungen Christoph Willibald Glucks, die Hector Berlioz 1859 für eine der Starsängerinnen der damaligen Pariser Opernszene, Pauline Viardot, nochmals bearbeitete. Diese Fassung wird jetzt in Lüttich gezeigt.
Der Regisseur Aurélien Bory belässt es in seiner Inszenierung sonst bei einer leeren Bühne, nur ein paar Tücher werden regelmäßig ineinander geschoben oder als vom Wind getragene Wolken oder Wellen eingesetzt. Real und im Spiegelbild ergeben dies immer wieder traumhaft schöne Effekte. Sonst ist nur das berühmte "Orphée et Eurydice"-Gemälde von Corot als Projektion zu erkennen. Mehr braucht es auch nicht, denn Bory kreiert mit sechs Tänzern, dem Opernchor und den drei Solisten immer neue Bilder, die von berührender Ästhetik sind. Hier zeigt sich, dass intelligent eingesetzter Minimalismus den größten Eindruck machen kann.
Dirigent Guy Van Waas versteht es auf seine bekannt zurückhaltende Art, das Orchester in einer historisch informierten Art spielen zu lassen. Man spürte am Premierenabend in den ersten Szenen noch kleine Unsicherheiten. Es ist für ein traditionelles Opernorchester, das ja das gesamte Repertoire stilistisch beherrschen muss und gerade aus einer "Madama Butterfly" kommt, sicher nicht einfach, jetzt fast ohne Vibrato zu spielen. Aber spätestens im Air des Furies war das Orchester ganz auf der Höhe. Das gilt auch für den Chor, der von Pierre Iodice hervorragend vorbereitet war.
Die armenische Mezzosopranistin Varduhi Abrahamyan singt sehr konzentriert und in sich gekehrt den Orphée, die französische Sopranistin Mélissa Petit ist eine ebenso überzeugende Eurydice. Besonders auffallend ist die junge belgische Sopranistin Julie Gebhart in der an und für sich sehr kurzen Rolle der Liebe, also "amour". Wie sie in einem großen Reifen hin- und hergedreht wird, wie sie auf den Händen der Tänzerinnen stehend das Gleichgewicht hält und jeden Ton perfekt setzt oder mal kurz durch die Luft gewirbelt wird, um dann gleich ihren Einsatz zu treffen, das macht ihr so schnell wohl keiner nach.
Bis zum 26. Oktober wird diese faszinierende und stimmige Produktion von „Orphée et Eurydice“ noch in Lüttich gezeigt.
Hans Reul