Der 30-jährige Benjamin Attahir hat es sich mit seinen drei Einaktern nicht leicht gemacht. Denn als literarische Vorlage zu "Le Silence des ombres" wählte er drei düstere, tragische Geschichten von Maurice Maeterlinck, die der einzige belgische Literaturnobelpreisträger 1894 als "Trois petits drames pour marionettes" herausgebracht hatte.
Es sollte ein langer, nach meinem ganz persönlichen Empfinden zu langer Abend werden, der erst im dritten Einakter die nötige Spannung zeigte, obwohl dieser dritte Teil mit rund 90 Minuten Dauer der längste war. Doch der Reihe nach.
"La mort de Tintagiles" ist der erste Teil überschrieben. Hier wird die Geschichte des kleinen Tintagiles erzählt, den die beiden Schwestern vor der bösen Königin schützen möchten. Vergebens, denn am Ende hört man wie Tintagiles hinter einer schweren Eisentür zu Tode stürzt.
Die zweite Geschichte ist nicht weniger dramatisch. In "Intérieur" sollen zwei Boten einer auf den ersten Blick glücklichen Familie eine traurige Nachricht überbringen. Und auch der dritte Teil des Abends ist typischer Maeterlinck, erinnert sogar ein wenig an die "Pelleas und Melisande"-Geschichte, die ja von Claude Debussy kongenial zu einer Oper verarbeitet wurde und auch andere Komponisten wie Arnold Schönberg oder Jean Sibelius zu großen Orchesterwerken inspirierte. In "Alladine et Palomides" geht es auch um eine unmögliche Liebe. Hier zwischen den beiden Titelfiguren, aber auch der alte König Ablamore hat sich in die junge Alladine verguckt. Am Ende werden symbolisch die Stimmen der beiden jungen Liebenden versagen.
So dunkel wie die drei Handlungen ist auch das Einheitsbühnenbild. Ein Treppenhaus, die Stufen führen ins Nirgendwo, die schon erwähnte Eisentür, dann immer wieder auch als Bild des berühmten Genter Altars von Van Eyck mit der Anbetung des Lammes.
Für den mittleren Akt "Intérieur" schauen wir in eine kleine beengte Stube für die fünfköpfige Familie. Diesen Teil erzählt Benjamin Attahir als eine Art Melodrama, das heißt, es wird nicht gesungen, sondern rezitiert. Hervorragend übrigens, allerdings wird die Musik dadurch ein wenig zum Background. Man könnte sich fast eine eigenständige Konzertaufführung dieses halbstündigen Werks vorstellen. Der rein musikalischen Spannung käme es zugute.
Benjamin Attahir, der übrigens selber dirigiert, kann nämlich hervorragend orchestrieren, daran gibt es keinen Zweifel. Ihm steht für diese Produktion allerdings nur ein kleines 19 Musiker umfassendes Kammerorchester zur Verfügung. Manchmal hätte man sich eine größere Orchesterbesetzung gewünscht, um die Spannung zu intensivieren, zumal die recht trockene Akustik der Koninklijke Vlaamse Schouwburg, denn hier wird "Le silence des ombres" gezeigt, nicht gerade hilfreich ist. Attahir verzichtet komplett auf die Violinen, bevorzugt die tiefen Lagen. Die Celli werden ebenso solistisch hervorragend eingesetzt wie etwa die Basstuba oder der historische Serpent. Das hat alles seinen Reiz, aber ist mit drei Stunden einfach zu lang.
Der dritte Teil "Alladine et Palomides" könnte nach meinem Empfinden als Einzelwerk eine stärkere Wirkung haben, zumal die Besetzung mit durchgehend jungen Sängern und Sängerinnen, die in den drei Einaktern die verschiedenen Rollen übernehmen, sehr kohärent und den Typen entsprechend ist. Ein großes Kompliment für diese Leistung. Die meisten sind Studierende der Chapelle Reine Elisabeth und einige werden wir sicher in den nächsten Jahren wiedersehen.
Bis zum 6. Oktober wird "Le silence des ombres" noch im KVS in Brüssel gegeben. Weitere Infoamtionen gibt es auch auf der Webseite von La Monnaie.
Hans Reul