Alle Augen waren auf die 27-jährige Julia Pusker gerichtet. Nach ihrem fantastischen Halbfinalauftritt zählte sie zu den Favoriten. Kaum einer hatte die zweite Kandidatin, die 23-jährige Japanerin Yukiko Uno, auf dem Schirm. Aber nach dem Abend sollte man beide jungen Damen nicht unterschätzen.
Julia Pusker begann wie alle Finalisten mit dem Pflichtkonzert "Fidl" des finnischen Komponisten Kimmo Hakola. Engagiert geht sie das Werk an, bestimmt durch ihr zupackendes Spiel das Geschehen, manchmal auch auf Kosten und zu Lasten einer schönen Tonführung. Sie wagt raue, sogar aggressive Momente. Dabei sucht und findet sie lächelnd die Unterstützung des gesamten Orchesters, ohne die Führung je aus der Hand zu geben.
Dies gilt auch für ihr Wahlkonzert. Lange Jahre hatte man auf einen Finalisten warten müssen, der das Violinkonzert von Ludwig van Beethoven spielt. Beethovens Konzert ist nicht der virtuose Blockbuster, aber es ist natürlich ein Paradestück, um die Musikalität eines Violinisten zu bewerten.
Julia Pusker ist eine tolle Künstlerin, ihre Interpretation des zweiten Satzes ist von wunderbarer Lyrik geprägt, im Finale scheint tatsächlich die Sonne aufzugehen, und sie selber strahlt mit der Musik um die Wette. Dieser Auftritt ist von ehrlicher Tiefe geprägt, aber es soll nicht verschwiegen werden, dass sie manchmal in ihrer impulsiven Art den Bogen etwas überspannt.
Ganz anders die junge Japanerin Yukiko Uno. Schon im Pflichtkonzert ist ihre technische Brillanz atemberaubend. Sie kostet jede Melodie aus, verinnerlicht die Partitur und spielt mit immer kontrollierter Energie. Das ist sehr klangschön.
Ihre makellose Technik kommt auch dem nachfolgenden Konzert von Johannes Brahms zugute. Yukiko Uno liefert eine Performance, die rein vom Klangbild zum Schönsten der ganzen Woche zu zählen ist. Uno zeigt ihre Persönlichkeit in einer von ihr selbst geschriebenen Solokadenz. Aber sie hat auch, vor allem im Finalsatz, kurze Momente der Unachtsamkeit, die vielleicht auf die Müdigkeit zurückzuführen sind, denn jeder Finalauftritt ist auch ein körperlicher Parforceritt.
Vier weitere Finalisten
Nach diesen beiden sehr guten Finalistinnen steigt die Spannung. Am Freitag ist zunächst die Amerikanerin Stella Chen an der Reihe. Sie wird das Konzert von Tschaikowsky als Wahlwerk spielen. Die Virtuosität und das Feinsinnige dieses Werks inspirieren sie, ebenso die tänzerischen und sanglichen Momente.
Auch der Kanadier Timothy Chooi wird das Tschaikowsky-Konzert interpretieren. Bei den Choois ist der Concours Reine Elisabeth Familientradition: Timothys Bruder Nikki zählte vor sieben Jahren zu den Laureaten. Die beiden Brüder lieben es, gemeinsam zu konzertieren und dabei neben den klassischen Sonaten auch eigene Bearbeitungen der Hits der Klassik dem Publikum nahezubringen.
Und am Samstagabend sind die 27-jährige Amerikanerin Shannon Lee und die 22-jährige Ukrainerin Eva Rabchevska die beiden letzten Finalisten. Rabchevska ist übrigens die jüngste aller zwölf Finalisten. Wir sind gespannt, wer letztendlich den Ersten Preis des Königin-Elisabeth-Wettbewerbs gewinnen wird. Alles ist noch offen.
Hans Reul