Sie war der Star des Abends: Speranza Scappucci. Die Herzen des Lütticher Publikums hat sie im Sturm erobert und dem Orchester macht es hörbar Freude unter ihrem engagierten und bestens informierten Dirigat zu musizieren. Puccinis Musik kann die Interpreten ja leicht dazu verführen, die Sentimentalität und die Dramatik, die seinen Werken innewohnt, zu übertreiben.
Bei Scappucci ist die Musik bestens aufgehoben, sie liest die Partitur ganz präzise und kostet die Rubati und Crescendi voll aus, ohne sie ins kitschig Larmoyante zu überhöhen. Obwohl sie erst seit rund fünf Jahren als Dirigentin arbeitet, versteht sie ihr Metier. Da spürt man die langjährige Erfahrung als Assistentin großer Kollegen wie Ricardo Muti.
Aber ohne ein glänzend aufgelegtes Orchester bleibt auch die schönste Dirigentenleistung ohne Nachhall. Die Musikerinnen und Musiker der Lütticher Oper haben sich bestens entwickelt. Schon unter Paolo Arrivabeni wurde der Grundstein gelegt, auf den Scappucci nun weiter aufbauen kann. Das zeigte sich zum Beispiel in dem bezaubernden Intermezzo zu Beginn des vierten Akts.
Vielleicht ist sie die Oper zu Beginn etwas zu forsch angegangen, denn da war in den ersten Takten das Zusammenspiel mit der Bühne nicht ganz auf dem Punkt. Dies lag wohl auch an dem wirbelnden Auftreten des Chores. Das haben wir in Lüttich schon öfters erlebt, dass das Musikalische dann ein wenig auseinander läuft. Aber sehr bald war die Balance perfekt.
Stefano Mazzonis inszeniert, wie wir es von ihm gewohnt sind, in traditioneller aber sehr schöner Bildersprache die Handlung. Dazu bedarf es dann aber auch einer Umbaupause nach jedem Akt, was vor allem zwischen den Akten drei und vier die Spannung leider ein wenig sinken lässt. Die beiden ersten Akte, die auf einem Platz in Amiens und dann im luxuriösen Domizil des reichen Geronte spielen, sind sehr prunkvoll ausgestattet, auch ein Kompliment an den Kostümbildner Fernand Ruiz, der in Lüttich stets für prächtige Roben sorgt.
Im dritten Akt, in dem sich das Schicksal wendet und Manon, die ihren angehenden Ehemann Geronte nicht nur beraubt hat, sondern ihm auch gehörig die Hörner aufsetzt und deshalb in die Verbannung geschickt wird und ihr Liebhaber Des Grieux sich entschließt, sie bei dieser unfreiwilligen Reise in die Neue Welt zu begleiten, blicken wir auf einen Ozeanriesen, der eher an einen Vergnügungsdampfer als an ein Gefangenenschiff erinnert. Die Oper endet ja in der amerikanischen Wüste und warum man diese Wüste mit drei sandfarbenen Hügeln aus Stoff gestaltet, ist nicht sehr gelungen. Da wäre weniger sogar mehr gewesen.
Dieser vierte Akt ist auch der musikalische Höhepunkt der Oper. Hier fand der Tenor Marcello Giordani als Des Grieux auch endlich den angemessenen Ton und man konnte sich am schönen Timbre des Tenors erfreuen. Bis dahin hatte er es hinsichtlich der Lautstärke doch reichlich übertrieben und dem Publikum die volle Bandbreite zugemutet, zu Lasten der Klangschönheit und der Intonation. Ihm zur Seite stand Anna Pirozzi, die der Manon die stimmliche Frische schenkte, insbesondere die lyrischen Momente waren feinster Verismo. Auch das weitere Ensemble wurde allen Wünschen gerecht. Nach langer Zeit war übrigens Marcel Vanaud nochmals in Lüttich zu sehen.
Bis zum 30. September steht Manon Lescaut auf dem Spielplan der Königlichen Oper der Wallonie in Lüttich.
Hans Reul - Fotos: Lorraine Wauters/Königliche Oper der Wallonie