Während Faust in Goethes Drama am Ende noch in letzter Sekunde die Rettung erfährt, wird er bei Hector Berlioz, wie der Titel es schon klarmacht, verdammt. Überhaupt nimmt sich Berlioz zahlreiche Freiheiten bei seiner dramatischen Legende, denn bei ihm beginnt die Handlung in Ungarn. Warum? Er wollte seinen berühmten Ungarischen Marsch ins Geschehen einbinden. Man kann es sogar verstehen, denn dieser Rakoczy-Marsch ist der Hit des gesamten Werks.
Ab der zweiten der insgesamt fünf Szenen sind wir dann aber in Deutschland und Faust begegnet Mephisto und später Gretchen, sprich Marguerite, deren Seele am Ende in den Himmel aufsteigt.
Eine dramatische Legende, so hat Berlioz selbst seine „Damnation de Faust“ genannt. Und man kann sich tatsächlich fragen: Bringt eine szenische Umsetzung überhaupt etwas? Würde eine konzertante Aufführung nicht reichen? Gerne erinnere ich mich an eine bilderreiche und spannende Inszenierung von Roland Aeschlimann im Jahre 2002 in La Monnaie. Da kann die neue Produktion, die jetzt in Lüttich gezeigt wird, nicht unbedingt mithalten.
Eines ist sicher, der mittlerweile 75-jährige Regisseur Ruggero Raimondi kennt „La damnation“ in und auswendig. Unzählige Male hat er selber den Mephisto während seiner sehr erfolgreichen Sängerkarriere gesungen. In Lüttich gibt mit Ildenbrando d'Arcangelo ebenfalls ein internationaler Star den Teufel.
Stimmlich grandios und das darf man auch von den beiden anderen Protagonisten sagen. Die georgische Sopranistin Nino Surguladze versteht es mit runder, warmer Stimme dem Gretchen die lyrische Seite zu schenken und Paul Groves glänzt, mal abgesehen von einigen kleinen Problemen in den höchsten Lagen mit kraftvollem Tenor. Auch die Diktion ist bei ihm vorbildlich. Dabei ist erst drei Tage vor der Premiere für den erkrankten Marc Laho eingesprungen.
Für die Inszenierung setzt Raimondi vor allem auf die Suggestion der Videoprojektionen. Einiges ist geglückt, anderes weitaus weniger. So überzeugend die Schlachtenbilder während des Ungarischen Marschs sind, so albern erscheint der Zeitlupen-Galopp der Schimmel im zweiten Akt. Am stärksten sind die abstrakten Projektionen.
Ansonsten spielt sich das eigentliche Bühnengeschehen zwischen rotierenden hohen Treppen und Etagenbauten ab. Den umfangreich besetzten Chor hält Raimondi in ständiger Bewegung, das kommt der Präzision der Einsätze alles andere als entgegen. Auch ansonsten war der Chor der Lütticher Oper am Premierenabend nicht in Bestform. Ganz anders das Orchester.
Dirigent Patrick Davin verstand es, die ganze Dynamik der Partitur aber auch die ruhig dahingleitenden Passagen auszuleuchten und die Musiker folgten ihm aufs Vortrefflichste. Ein Sonderlob dem Orchester.
Bis zum 5. Februar steht "La damnation de Faust" noch auf dem Programm der Lütticher Oper.
Hans Reul - Bild: Lorraine Wauters/ORW