Wenn es einen Opernklassiker gibt, dann ist dies Mozarts "Don Giovanni". Für viele ist es die Oper aller Opern, dementsprechend hoch waren die Erwartungen an Jaco Van Dormael.
Was mag der gefeierte Filmregisseur ("Le huitième jour", "Toto le héros" oder unlängst "Le tout dernier testament") aus diesem musikalischen Meisterwerk wohl machen? Zumal seine Inszenierung von "Stradella" 2012 keinen nachhaltigen Eindruck hinterlassen hatte.
Wie sagte uns Van Dormael jetzt vor der Premiere von Don Giovanni: Für ihn ist es ein Vorteil, kein Fachmann in Sachen Oper zu sein. Er liebt die Musik und geht ganz unbedarft und ohne große Vorbilder an seine Don Giovanni-Inszenierung heran, hat sich nicht mit anderen Produktionen beschäftigt, sondern das Libretto gelesen, wie er ein Drehbuch lesen würde, und dann seine Sicht auf die Handlung entwickelt.
Eines ist sicher: Van Dormael kokettiert mit seiner Inkompetenz, denn das Resultat ist von einer überzeugenden Schlüssigkeit. Er lässt die Handlung im Milieu der Börsenmakler spielen. Dabei diente ihm der Film "Wolf of Wallstreet" offensichtlich als Anregung. Don Giovanni ist ähnlich wie Leonardo di Caprio in diesem Martin-Scorsese-Film ein Trader, dem es um Macht und Besitz geht, er hat Verlangen nach Geld, Drogen und Sex.
Das Tolle an Van Dormaels Inszenierung ist: Die Übertragung in diese verlogene und selbstbezogene Finanzwelt funktioniert. Dazu trägt auch das großartige Bühnenbild von Vincent Lemaire bei.
In der ersten Szene sind wir nachts an einem privaten Swimmingpool. Don Giovanni macht sich an Donna Anna, sein nächstes potenzielles Opfer, ran und ihr Vater, der Komtur, bei Van Dormael der Generaldirektor eines konkurrierenden Finanzunternehmens, stößt dazu. Es kommt zum Kampf und Don Giovanni ertränkt den Komtur im Pool.
Dann senkt sich der riesige, schräg über dem Schwimmbecken hängende und die ganze Bühne füllende Spiegel und verwandelt sich in ein Großraumbüro mit Sicht auf die Skyline der Stadt. Ein absolut genialer Bühnenbildwechsel. Hier finden wir zum einen die die schicken Börsenmakler um Don Giovanni und Leporello und zum anderen das Reinigungspersonal mit Masetto und Zerlina, also die auch im Libretto deutlich gezeichnete Zweiklassengesellschaft.
Das ist in der Konsequenz der Übertragung der Handlung in unsere Zeit schlüssig und in jeder Hinsicht geglückt. Bis hin zur Schlussszene, bei der Don Giovanni den Komtur zum Festgelage bittet, das hier tatsächlich zu einer süßen Versuchung wird, an der auch Leporello sich laben möchte.
Alles endet dann mit dem Tod Don Giovannis, den der Komtur mit in den Swimmingpool zieht. So schließt sich der Kreis und der Vorhang fällt. Damit verzichtet Van Dormael aber auf das Sextett, das Mozart als Moral von der Geschichte noch anfügte. Das ist das einzig Bedauernswerte an der Produktion, denn dieses Sextett ist voller wunderschöner Musik.
Rein musikalisch lässt diese Produktion leider ein paar Wünsche offen. Das Orchester der Lütticher Oper, das bei den letzten Produktionen zu glänzen wusste, klang diesmal unter der Leitung von Rinaldo Alessandrini weniger inspiriert. Mozarts Musik ist und bleibt ein delikates Vergnügen.
Auch bei den Sängern war zumindest bei der Premierenvorstellung nicht alles überzeugend. Herausragend waren Céline Mellon als naiv verspielte und doch raffinierte Zerlina, und Salome Jicia als souveräne Donna Anna.
Nach diesem "Don Giovanni" darf man auf weitere Operninszenierungen von Jaco Van Dormael hoffen. Bis zum 29. November steht die Produktion auf dem Programm der Königlichen Oper der Wallonie.
Hans Reul - Bilder: Lorraine Wauters/Opéra Royal de Wallonie