Straßenkunst bedeutet immer auch etwas Untergrundkultur - Aufstand gegen das Etablierte, gegen den Mainstream, gegen die gewohnten Kunstkategorien. Eine Art des alternativen Lebens.
Bei Farm Prod ist das nicht anders. Hinter dem Namen verbergen sich rund zehn Künstler. Während des Studiums an der Kunsthochschule Saint Luc in Tournai hatten sie sich Ende der 1990er Jahre kennengelernt. Damals lebten sie zusammen in einem alten Bauernhof vor den Toren der Stadt. Schon damals gaben sie sich den Namen "La Ferme" - der Bauernhof -, was umgangssprachlich aber auch "Halt die Klappe" heißt.
Wenige Jahre nach dem Studium trafen sich die ehemaligen Studenten in einem besetzten Haus in Brüssel wieder. Sie gründeten ein Kollektiv und knüpften an die Wurzeln aus Tournai an. Aus dem Namen "La Ferme" wurde das englische "Farm", Prod soll auf den Produktionsprozess anspielen, der bei jedem Kunstwerk eine Rolle spielt. Der Name Farm Prod war geboren.
20 Jahre gibt es mittlerweile das Kollektiv. Immer noch sind es die gleichen Künstler wie damals. "Ich bin tatsächlich davon überzeugt, dass das Besondere an Farm Prod ist, dass wir vor allem eine Gruppe von Kumpels sind, und erst in zweiter Linie Kollegen", erklärt Gründungsmitglied Guillaume Desmarets.
Kumpel und Künstler, die gemeinsam einen Lebensstil verfolgen, sich gegenseitig beim kreativen Prozess helfen, aber auch eigenständige Projekte verwirklichen: Das alles wird jetzt in den Räumen der alten Wäscherei La Vallée in Brüssels Stadtgemeinde Molenbeek unweit des Kanals der Öffentlichkeit präsentiert. Nicht die feinste Umgebung, aber ein passendes Ambiente für das Vorhaben des Kollektivs: nämlich einen Überblick über 20 Jahre Schaffen zu geben.
Zu sehen sind "Momentaufnahmen, Zeichen der Zeit", wie der 43-jährige Desmarets sagt. "Bilder auf Leinwänden, aus den Archiven, Werke in ihren Entstehungsprozessen, zeitgenössische Werke, ein paar Dinge, die eher verrückt sind - ein ganzer Weg durch ein eigenes Universum."
Nicht alle ausgestellten Werke entsprechen dabei dem, was der Laie mit dem Namen Straßenkunst in Verbindung bringen würde. Desmarets wundert das nicht. Denn in der Allgemeinheit sei Straßenkunst eng mit Graffiti verbunden. Farm Prod hingegen wolle sich bewusst von Graffiti abgrenzen. Seine Kumpel und er würden das Etikett Straßenkünstler sowieso nicht sehr mögen. Weil es - wie jedes Etikett - einschränkend wirke. "Das ist so", erklärt Desmarets diesen Standpunkt, "als wenn du ein Gitarrist wärst und ich dir sage: Sieh mal an, du spielst Klavier, aber warum spielst du Klavier? Normalerweise spielst du doch Gitarre?"
Vielleicht noch beeindruckender als die Ausstellung selbst verdeutlicht das sehr gelungene Buch, das Farm Prod zu seinem 20-jährigen Bestehen zusammengestellt hat, die Verbindung von Straße und Kunst. Auf den zahlreichen Fotos sind die Werke im öffentlichen Raum zu sehen: an Mauern, an Häusern, auf Fahrzeugen. Der raue, rebellische Charakter des Schaffens kommt hier deutlich zum Tragen.
Dass Farm Prod auch international einen Ruf hat, wird indirekt in der Ausstellung gezeigt. Im Innenhof der alten Wäscherei hat ein schwedischer Straßenkünstler als Würdigung des Brüsseler Kollektivs ein Werk entworfen. Zwei Stars der französischen Hiphop-Szene werden bei einer Hiphop-Session Gast in La Vallée sein. "Der Hiphop ist den meisten von uns mit in die Wiege gelegt worden, das ganze Universum Hiphop, Graffiti, Rap. Ich habe mit 14 Jahren in Paris gelebt. Das war die Hochzeit des französischen Raps. Das war prägend für mich und meine Leidenschaft für diese Musik."
Die Ausstellung "20 Jahre Farm Prod" ist bis Ende September zu besuchen in "La Vallée", Rue Adolphe Lavallée 39, 1080 Molenbeek-Saint-Jean. Öffnungszeiten: mittwochs bis sonntags von 11 bis 19 Uhr, Eintritt frei, um eine Spende wird gebeten.
Das Buch "Farm Prod. In paint we trust" mit einer Geschichte des Kollektivs und zahlreichen Fotos von Werken wird in französischer und englischer Sprache vor Ort verkauft. Es besteht aus 240 Seiten und kostet 35 Euro.
Kay Wagner