Die Geschichte der LGBTQI+-Gemeinschaft war lange Zeit eine des Leugnens, des Versteckens, der Ausgrenzung, der Repression und der Verfolgung. Auch deshalb ist viel davon verloren gegangen oder vernichtet worden. Die Folge: Die breite Öffentlichkeit hat oft nur eine - wenn überhaupt - sehr nebulöse Vorstellung von ihr.
Und genau hier kommt "Brussels Queer Graphics" im Design-Museum Brüssel zum Zug, wie Direktor Arnaud Bozzini erklärt. Es gehe wirklich darum, die Besucher die Kulturgeschichte von Menschen entdecken zu lassen, die viel zu lange unsichtbar gewesen seien, darum, die gesellschaftliche Realität von heute wiederzugeben, in all ihrer Vielfalt.
Und diese Wiedergabe ist auf jeden Fall eines: sehr bunt. Zwischen wandfüllenden Schwarz-Weiß-Fotos und strahlend grün gestrichenen Mauern konkurrieren Poster, Werbungen, Flyer, Pins, Kondomverpackungen, T-Shirts, Fanzines und viele andere Objekte um die Aufmerksamkeit des Betrachters. Sie alle sind vor allem aus einem Grund ausgewählt worden: wegen ihres Grafikdesigns. Wobei das Grafikdesign nicht nur als visuelle Sprache der LGBTQI+-Gemeinschaft hervorgehoben werden soll, sondern explizit auch als fester Bestandteil der Design-Geschichte an sich, wie Ko-Kuratorin Aline Baudet betont. Sie ist Professorin für Grafikdesign an der Belgischen Hochschule für visuelle Künste La Cambre und spezialisiert auf aktivistisches Grafikdesign.
Man könne Grafikdesign und damit Design, Kunst und Kultur allgemein nie isoliert betrachten: Geschichte und gesellschaftliche Entwicklungen durchzögen alles. Deswegen bildet die jüngere LGBTQI+-Geschichte in und um Brüssel von den 1950er-Jahren bis heute auch den Rahmen für die Ausstellung.
Der Rundgang, der durch die Aspekte Gemeinschaftsarbeit, Aktivismus und Feiern führt, ist aber nicht chronologisch organisiert. Stattdessen ist er in fünf große Themen beziehungsweise Stationen aufgeteilt: sich erkennbar machen für Gleichgesinnte, das Sichtbarmachen der eigenen Gemeinschaft gegenüber dem Rest der Gesellschaft, Untergraben im Sinn von sich eigentlich fremde Symbole anzueignen, um sie in einem neuen Kontext zu verwenden, Informieren und die Herstellung der entsprechenden Designs.
Fast jedes der Ausstellungsobjekte erzählt eine Geschichte, so Baudet. Man sehe, wie sie hergestellt worden seien, wann und warum und auch von wem. Auf diese Weise lassen sich wichtige geschichtliche Entwicklungen am jeweiligen Design ablesen und verfolgen, etwa der Einfluss der 68er-Bewegung und der sexuellen Revolution, Schlagzeilen machende Fälle von Diskriminierung in Belgien, das Einfordern und die Erlangung von Rechten und natürlich auch die dramatischen Auswirkungen, die das Auftauchen des HIV-Virus auf die Gemeinschaft hatte.
Aber auch der technische Fortschritt wird gut illustriert. Von den frühen Do-it-yourself-Produkten, die mit viel Handarbeit und rudimentärsten technischen Mitteln zu Hause hergestellt wurden über den zunehmenden Einfluss der Fotografie bis hin zur digitalen Revolution, die die Produktion von Grafiken immer weiter perfektioniert und professionalisiert hat.
Es liegt in der Natur der Sache, dass solche Ausstellungen für Menschen mit gewissen Wert-und Moralvorstellungen problematisch sein können, schließlich geht es um sexuelle Orientierungen beziehungsweise Identitäten, Sex und Erotik spielen also unweigerlich eine große Rolle. Sicherheitshalber hat das Museum deshalb auch eine mehrsprachige entsprechende Warnung angebracht. Aber keine Sorge, zu explizit wird es normalerweise trotzdem nicht. Menschen, die neugierig sind auf eine Retrospektive der jüngeren Brüsseler LGBTQI+-Kulturgeschichte oder die sich für Grafikdesign als visuelles Sprachmittel interessieren, werden bei "Brussels Queer Graphics" auf jeden Fall auf ihre Kosten kommen. Ganz zu schweigen davon, dass man bei der Gelegenheit ja auch noch den Rest des Brüsseler Design-Museums erkunden kann.
Die Ausstellung "Brussels Queer Graphics" ist im Design-Museum Brüssel in der Nähe des Atomiums zu sehen und läuft noch bis zum 5. November. Weitere Informationen finden Sie auf der Webseite des Design-Museums.
Boris Schmidt