Es ist eine etwas andere Picasso-Ausstellung, die den Besucher im Brüsseler Bozar erwartet. Museumsdirektor Michel Draguet, der die Ausstellung selbst konzipiert hat, ist der erste, der das zugibt. "Die Ausstellung ist ganz eindeutig keine Retrospektive", sagt er. "Wir zeigen nicht in chronologischer Reihenfolge die Meisterwerke von Picasso." Vielmehr widmet sich die Ausstellung in Bozar dem Verhältnis, das Pablo Picasso zur abstrakten Kunst unterhielt.
"Wenn man von abstrakter Kunst spricht, meint man meistens eine Bewegung, die Ende des 19. Jahrhunderts begann und bis in die moderne Kunst hinein wirkt. Charakteristisch dafür ist, dass die Maler der Auffassung waren, dass man etwas malen kann, ohne dass das Gemalte irgendetwas darstellen muss. Das Gemalte kann zum Beispiel ein Gefühl darstellen", so Draguets Zusammenfassung über den Begriff der Abstraktion.
Picasso ist Zeitgenosse der aufkommenden Bewegung der abstrakten Kunst. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts flirtet er selbst mit dieser Bewegung. Picasso wird oft im Zusammenhang mit den ersten großen Werken der abstrakten Kunst in der Literatur zitiert.
"Es gibt keine Geschichte der Abstraktion, die nicht über Picasso spricht", erklärt Museumsleiter Draguet. "Da spielt dann vor allem der Picasso eine Rolle, der den Kubismus geprägt hat. Aber Picasso ist kein abstrakter Künstler. Er hat sich regelmäßig - und das zeigen wir am Anfang der Ausstellung - kritisch gegenüber der Abstraktion geäußert. Das ist etwas, was er nicht mag. Abstrakte Malerei mag er genauso wenig wie er alles verabscheut, was einem System folgt."
Bezug zur Realität
Trotzdem spielt Picasso fast sein ganzes Schaffen über mit Elementen, die aus der abstrakten Kunst kommen. Der Bezug zur Realität sei ihm dabei aber immer wichtig geblieben. Seine Werke seien nie komplett abstrakt, sondern stellen immer etwas dar. Zwar durchaus verfremdet, aber immer noch als etwas gegenständliches zu erkennen.
Wie das über die verschiedenen Jahrzehnte seines Schaffens geschehen ist, zeigt die Ausstellung in Bozar. Sie beginnt mit Werken von Picasso aus seinen Anfangsjahren und endet mit dem Bild "Die Küche". Selbst wenn auf diesem Bild keine Tasse, kein Teller und kein Topf so dargestellt sind, wie sie im Alltag existieren, so kann man doch eine Küche auf dem Bild erkennen.
"Bei Picasso ist man nie komplett im Konzeptuellen", sagt dazu Draguet. "Gefühle spielen immer eine Rolle. Wenn man also eine Gitarre betrachtet, ein Stillleben oder ein Gesicht sind das immer Sachen und Dinge, die man in seinem Alltag erleben kann. Und Picasso spielt mit diesen Dingen."
Sein Universum im Atelier
Zu sehen sind in der Ausstellung auch kleine Skulpturen, Zeichnungen, Entwürfe, Skizzen von Picasso. Viele Dinge aus seinem Atelier. Auch das nicht ohne Grund: Picasso sei - anders als viele andere Künstler - nicht raus auf die Straße, in die Natur oder ins Café gegangen, um sich durch die Eindrücke dort inspirieren zu lassen.
Vielmehr habe Picasso mit den Bildern und Gegenständen experimentiert, die er in seinem Atelier um sich hatte. Die Brüsseler Ausstellung will den Einfluss verdeutlichen, den dieses Universum im Atelier auf Picassos Schaffen hatte.
Ein Werk, das es Museumsleiter Michel Draguet besonders angetan hat, ist das Bild "Violine und Noten" aus dem Jahr 1912. Nicht umsonst ist es auf dem Werbeplakat für die Ausstellung abgebildet. "Für mich ist dieses Werk eine Synthese der Ausstellung", begründet Draguet. Er meint damit den Umgang von Picasso mit der abstrakten Kunst: Dem ständigen Flirt damit, um letztlich doch bei der Realität zu bleiben.
"Das Bild ist abstrakt, verweigert sich einer bildlichen Darstellung und kommt wieder in die Realität zurück", erklärt Draguet. "Und das alles zur gleichen Zeit. Das ist die Bewegung von Picasso - wie ein Tanzschritt: Er geht nach vorne, tritt zur Seite, zieht sich wieder zurück. Mir gefällt dieses Werk sehr. Und außerdem finde ich es schön."
Das Museum Bozar in Brüssel zeigt die Picasso-Ausstellung mit dem Titel "Picasso und Abstraktion" bis zum 12. Februar.
Kay Wagner