Ganz nah und unmittelbar blicken sie einen an: Nicole Kidman, Helen Mirren, Naomi Campbell, Mariacarla Boscono und ihre Kolleginnen aus der Film- und Modebranche. Die monumentale Installation mit großformatigen Schwarz-Weiß-Porträts lässt den Besucher gleich eintauchen in die Welt von Peter Lindbergh. Eine intime und persönliche Welt, die im Kontrast zu stehen scheint zum beruflichen Glamour der Porträtierten.
Es sind überwiegend Frauen, die der deutsche Fotograf seit den 80er Jahren für große Modezeitschriften wie Vogue und Harper’s Bazaar abgelichtet hat. Viele von ihnen hat er über Jahrzehnte immer wieder fotografiert. Für die Ausstellung hat Lindbergh 140 Aufnahmen seiner Karriere ausgewählt, darunter auch zuvor noch nie gezeigte Arbeiten.
Er selbst hat die Fotografien nicht mehr im Düsseldorfer Kunstpalast erleben können. Peter Lindbergh starb wenige Monate vor der Vernissage im Alter von 75 Jahren. Doch als er sein eigenes Ausstellungsmodell zum ersten Mal gesehen hatte, sagte er: "Es war überwältigend, auf diese Art vor Augen geführt zu bekommen, wer ich bin".
Und so sagen die Fotos genauso viel über Lindbergh aus wie über die Porträtierten. Er wollte die natürliche Schönheit einer Frau erfassen, ihre selbstbewusste Weiblichkeit und die vielen Facetten einer Persönlichkeit. Auch wenn die meisten Fotografien wohl inszeniert waren - in Paris, London, New York, Los Angeles - wirken sie doch natürlich und authentisch, lassen sie Unvollkommenheiten, Sensibilität und Zerbrechlichkeit zu.
Zudem sind sie Zeitdokumente, dokumentieren etwa die Ära der Supermodels der 80er Jahre, mit denen Lindbergh der internationale Durchbruch gelang. Die jüngsten Aufnahmen in der Ausstellung stammen aus dem Jahr 2018 und entstanden in New York. Gelebt und gearbeitet hat Lindbergh, der in Duisburg aufgewachsen war, in Paris. Von dort aus bereiste er die Metropolen der Mode und des Films.
Testament
Es gab aber noch ein anderes Thema, mit dem sich Peter Lindbergh in den letzten Jahren intensiv auseinandergesetzt hat: die Frage der Schuld. Von 2011 bis 2014 hat der Fotograf rund 300 Gerichtsprozesse über verurteilte Mörder analysiert. Die meisten davon fanden in den USA statt. So auch der von Elmer Carroll. Er wurde 1990 in Florida wegen Mordes zum Tode verurteilt und 2013 hingerichtet.
"Testament" nennt Lindbergh seine filmische Arbeit über den verurteilten Mörder. Der 30 Minuten lange ungeschnittene Film wird in einem abgedunkelten Teil der Ausstellung gezeigt: In dem Video blickt Elmer Carroll durch einen Einwegspiegel eine halbe Stunde lang sich selbst an und gleichzeitig den Betrachter. Es sind vielschichtige, facettenreiche Blicke, die Fragen aufwerfen über Schuld und wie sie entsteht.
"Ich glaube, dass jeder Mensch unschuldig auf die Welt kommt", hat Peter Lindbergh gesagt. Mit der Arbeit "Testament" hat der Fotograf am Ende seines Lebens eine Debatte angestoßen zu Themen, die für ihn zentral waren: Introspektion, Ausdruck, Empathie und Freiheit. Themen, die so fern scheinen von der Welt der Mode, mit der Lindbergh Fotogeschichte geschrieben hat. Oder doch nicht?
Lindberghs Arbeiten sind jedenfalls alles andere als oberflächlich. Seine unerzählten Geschichten sind nicht nur ein ästhetischer Genuss, sondern machen auch nachdenklich und lassen einen nicht unberührt. Die "Untold Stories" sind noch bis zum 27. September im Düsseldorfer Kunstpalast zu sehen.
Michaela Brück