Nicht ohne Grund hatte der Hamburger Carlsen-Verlag die Neuauflage der Graphic Novel "Die Bombe" - diesmal in einer Soft-Cover-Version - für diesen Sommer geplant. Im August war es genau 80 Jahre her, dass die ersten Atombomben über den japanischen Städten Hiroshima und Nagasaki explodiert waren. Schon bei der Erstausgabe der "Bombe" 2020 hatte ein "runder" Gedenktag den Anlass gegeben, das Werk zu veröffentlichen. Damals wurde an den 75. Jahrestag des Abwurfs der ersten Atombombe erinnert.
Ähnliches Szenario wie Oscar-Gewinner "Oppenheimer"
Die Handlung der Graphic Novel setzt in den 1930er Jahren ein, als die Nazis in Deutschland an der Macht sind .Viele Wissenschaftler verlassen Deutschland Richtung USA. Dort arbeiten einige von ihnen entscheidend mit daran, die Atombombe zu entwickeln.
Dieses Szenario erinnert an den Kino-Film "Oppenheimer", der sich der gleichen Thematik widmet. In dem Film, der bei der Oscar-Verleihung 2024 zahlreiche Auszeichnungen einheimste, wird die Entwicklung der Atombombe anhand des Lebens des Wissenschaftlers Robert Oppenheimer nacherzählt.
Weiter Blick - auch in den Kongo
Oppenheimer taucht in der Graphic Novel auch auf, aber erst relativ spät und weit weniger zentral als im Film. Das verdeutlicht gut einen großen Unterschied zwischen Film und Graphic Novel. Die Graphic Novel ist nämlich breiter angelegt als der Film. Sie konzentriert sich nicht auf die Person von Oppenheimer, sondern zeigt viel stärker den Einfluss von vielen Menschen auf die Entwicklung der Atombombe.
Außerdem schaut das Werk auch in andere Länder, nach Deutschland, Norwegen, Russland, Japan, auch in den Kongo unter belgischer Kolonialherrschaft, wodurch noch einmal viel deutlicher als im Film gezeigt wird, welches Wettrennen es damals in den Kriegszeiten um die Entwicklung der Atombombe gegeben hat.
Fragen und Zweifel
Auch in der Graphic Novel wird der Leser, ähnlich wie der Zuschauer beim Film, mit den Fragen und Zweifeln der Wissenschaftler bezüglich Moral, Sinn oder Verwerflichkeit der Entwicklung der Atombombe konfrontiert. "Die Bombe" hat dabei den Vorteil, dass sie die unterschiedlichen Gedanken von vielen Menschen darstellt. Unter anderem wirft sie auch einen Blick auf den deutschen Physiker Werner Heisenberg, der in Nazi-Deutschland geblieben war und von dem man bis zum Schluss nicht in Erfahrung brachte, ob er die Entwicklung der Atombombe in Deutschland bewusst verzögert hatte oder nicht.
Das Uran als Erzähler
Die moralischen Fragen rund um die Atombombe werden zudem allein schon durch die Erzählkonstruktion der Graphic Novel aufgeworfen. Denn der übergeordnete Erzähler der Geschichte ist das Uran selbst. Also dieses Metall, in dem sich die vernichtende Kraft der Atombombe befindet. Das Uran als Erzähler weiß um seine enorme Vernichtungskraft - und stellt den Leser selbst vor die Frage, wie gut oder schlecht es ist, dass man dank des Urans überhaupt eine solche Vernichtungswaffe wie die Atombombe entwickeln konnte.
Die Zeichnungen in der Graphic Novel sind durchweg schwarz-weiß gehalten, unaufgeregt "klassisch", ohne Extravaganzen. Das passt hervorragend zum Inhalt.
Lesegenuss mit Aktualitätsbezug
Alles zusammen - die graphische Darstellung, die originelle Erzählkonstruktion, die Vielschichtigkeit und der breite Ansatz der Geschichte - machen "Die Bombe" zu einer herausragenden Graphic Novel, zu einem spannenden Lesegenuss, der gleichzeitig hoch aktuell ist, nachdem Aufrüstung und Militarismus seit der russischen Invasion in der Ukraine wieder ein Comeback erleben.
Die Graphic Novel: Alcante/L.F. Bollée (Szenario), Denis Rodier (Zeichnungen), Die Bombe, Hamburg 2025, Carlsen-Verlag, 450 Seiten, 28 Euro.
Kay Wagner