Zu dieser Jahreszeit leuchtet sie förmlich gelb-golden, die Dreiborner Hochfläche, die Anna-Maria Caspari treffend als "Ginsterhöhe" beschrieben hat. Hierher, nach Wollseifen, folgt sie ihrem fiktiven, kriegsversehrten Dorfbewohner Albert Lintermann: "Mich hat ganz am Anfang fasziniert, dass das Dorf jetzt kein Dorf mehr ist, sondern eine Wüstung", sagt die Autorin. "Und dann habe ich gedacht, dass es nicht nur als Wüstung in der Erinnerung bleiben soll, sondern ich möchte es wieder lebendig machen und habe die Bewohner erfunden, die hier gelebt haben. Ich konnte mir ziemlich gut vorstellen, wie man hier oben auf dieser Höhe so lebt und und was das karge Leben in der Eifel aus einem macht."
Heute kann der Wanderer nur schwer erahnen, wie es hier früher einmal ausgesehen haben mag. Anna-Maria Caspari hilft ihm dabei, sie beschreibt "Fachwerkhäuser, eng geduckt und strohgedeckt", wie sie die Dorfstraße säumten, auf deren Verlauf heute nachträglich angebrachte Holzschilder hinweisen.
Wie das Leben in Wollseifen aussah, lässt sich auch anhand einer Fotoausstellung in der alten Schule von Wollseifen nachempfinden - einem der wenigen historischen Gebäude aus jener Zeit. Mit der dörflichen Ruhe sollte es aber bald vorbei sein. "Ginsterhöhe", der zentrale Roman der Trilogie, umfasst den Zeitraum nach dem Ersten Weltkrieg bis 1949 und erzählt, wie Wollseifen und seine Bewohner aus ihrer Abgeschiedenheit herausgerissen wurden.
"Von dem Moment an, wo die Nationalsozialisten beschlossen haben, dass sie hier eins von drei Schulungslagern für ihre Elite bauen, da ist es natürlich in den Mittelpunkt des Geschehens gerückt", erklärt Anna-Maria Caspari. "Also da konnte ja keiner mehr dran vorbeigucken, dass hier direkt neben dieser sogenannten Ordensburg der Nationalsozialisten ein Dorf lag."
Es gab natürlich eine Wechselwirkung mit den neuen Nachbarn: Wollseifener, die auf Vogelsang arbeiteten, Soldaten und Arbeiter, die in Wollseifen einkehrten ... "Als dann der Krieg ausgebrochen ist, hatte das auch einen Einfluss auf das Dorf, weil es mitten in so einem strategischen Dreieck gelegen hat - auf der einen Seite Vogelsang, dahinter die Urftalsperre, die für die Alliierten auch wichtig war, und es gab noch einen Flugplatz auf dem ehemaligen Walberhof."
Bei Luftangriffen im Winter 1944/45 wurde Wollseifen weitgehend zerstört. Kurz nach Kriegsende wurde das ganze Gebiet um Vogelsang zum militärischen Sperrgebiet erklärt und als Truppenübungsplatz genutzt - erst von der britischen Besatzungsmacht, dann von den belgischen Streitkräften. "Das war der Zeitpunkt, wo die Bewohner begriffen haben, dass sie nie wieder hierher zurückkommen werden. Zuerst haben sie das gar nicht geglaubt," sagt Anna-Maria Caspari. "Der Vater meiner Zeitzeugin Christel Küpper hat zu einer ihrer älteren Schwestern gesagt, als sie im September 1946 hier raus mussten: 'Putz noch einmal das ganze Haus und schließ gut ab, damit wir in ein ordentliches Haus zurückkommen!' Dann haben sie praktisch von den Rändern fassungslos zugeguckt, wie hier alles kaputt gemacht und zerschossen wurde."
Die Einwohner von Wollseifen mussten anderswo ein neues Leben beginnen. Davon handelt der dritte und letzte Teil der Trilogie mit dem Titel "Schlehengrund", der wie die beiden anderen Bände, "Perlenbach" und "Ginsterhöhe" im Ullstein-Buchverlag erschienen ist.
Teil der Eifel-Trilogie: Anna-Maria Caspari liest in Aachen aus ihrem neuen Roman "Perlenbach"
Stephan Pesch