Veerle Hildebrandt, Sie haben also eine Graphic Novel veröffentlicht mit dem Namen "Hild". Da geht es um die altbekannte Sage der Nibelungen und insbesondere die Frauen der Nibelungen, wie es im Untertitel heißt. Wie sind Sie zu diesem alten Stoff gekommen?
Ich denke, so ziemlich jeder, der Deutsch spricht und sich ein bisschen auskennt mit Geschichte, hat davon schon einmal gehört. Was ich sehr interessant fand und was in den vorigen Versionen dieser Geschichte, denen man doch hin und wieder mal begegnet, gefehlt hat, ist die Perspektive der Frau. Obwohl die Frauen sehr wichtig waren für diese Geschichte und für das ganze Geschehen, wurden sie in den Hintergrund verbannt. Da habe ich mir gedacht, wir holen sie mal aus dem Schatten des Geschehens heraus und teilen ihnen die Rolle zu, die sie auch wirklich verdienen, nämlich als die Drahtzieherinnen in der ganzen Geschichte und auch diejenigen, die eigentlich dem Ganzen am Ende den Garaus machen.
Glauben Sie, dass eine solche Darstellung erst in unserer heutigen Zeit möglich ist? Oder kann man umgekehrt daraus lernen, dass die Frauen immer schon einen sehr selbstbewussten Standpunkt vertreten haben, dass er eben nur nicht zum Vorschein kam?
Ja, ich denke, dass sie oft nicht gehört wurden, dass darüber hinweggegangen wurde und dem Ganzen auch keine besondere Bedeutung beigemessen wurde. Die hatten sich zu fügen und hatten zu tun, was ihnen gesagt wurde. Ich kann mir vorstellen, dass da immer schon sehr viel Widerstand war. Aber wie gesagt, er hat eben kein offenes Ohr bekommen und auch keinen Platz in der Gesellschaft.
Nun sprechen wir hier von einer Graphic Novel. Das heißt, Sie setzen diese Geschichte förmlich ins Bild.
Das ist unbedingt wichtig. Also das ist vor allem eine Geschichte, die die Fantasie anspricht. Darüber zu lesen ist eine Sache, aber wenn man es dann noch mal in Bilder fassen kann, dann bekommt es natürlich eine weitere Dimension. Ich denke, dass es auf diese Art und Weise auch viel mehr Leute und ein viel breiteres Publikum anspricht.
Verfolgen Sie da auch Ihren eigenen Stil?
Ja, den habe ich auf jeden Fall darin verwandt. Ich habe mit Bleistift gezeichnet. Mein voriges Buch habe ich mit chinesischer Tinte gemacht, aber ich fand, für dieses Buch eignete sich der Bleistiftzeichenstil viel besser, weil sich da viel mehr Nuancen anbringen lassen. Ich habe angefangen zu zeichnen und daraus hat sich das Ganze dann ergeben. Das hat dann angefangen, ein Eigenleben zu führen und hat mir irgendwie auch ein bisschen den Weg gewiesen, den ich einzuschlagen habe. Es ist eigentlich organisch gewachsen.
Zuerst erschienen ist diese Graphic Novel in niederländischer Sprache in Flandern, ihrer Heimat, jetzt auch in französischer Sprache. Wie sind die Reaktionen?
Ich muss sagen, im Allgemeinen sehr gut. Das ist ein Buch, das mit offenen Armen empfangen wurde und auch gute Kritiken bekommen hat. Es fällt mir vor allem auf, dass es auf sehr viel Enthusiasmus stößt im französischsprachigen Raum. Das hatte ich so gar nicht erwartet, aber das freut mich natürlich sehr.
Würden Sie sich auch wünschen, dass es mal eine deutsche Fassung gibt?
Ja, unbedingt. Da möchte ich absolut hin. Ich denke mir nämlich, dass der deutschsprachige Raum sehr viel Interesse an dem Buch haben könnte, denn es gehört zu unserer Geschichte und zu unserem Kulturerbe. Deswegen denke ich mir, dass es sehr schön sein würde, wenn es auch ins Deutsche übersetzt wird. Das auf jeden Fall.
In gewisser Weise, scheint mir, hat dieses Buch auch mit Ihrer Familiengeschichte zu tun, oder?
Ja, mein Vater ist Deutscher, er kommt aus Niedersachsen. Ich bin in Deutschland aufgewachsen und zur Schule gegangen und erst nach dem Abitur nach Belgien gezogen, nach Flandern, in die Heimat meiner Mutter, und habe dort Grafikdesign studiert. Ich bin zweisprachig aufgewachsen und habe auch beide Nationalitäten, die deutsche und die belgische.
Das Thema liegt, wie Sie im Vorgespräch sagten, auch nahe bei Ihrem Nachnamen.
Ja, der ist prädestiniert um dieses Buch zu schreiben. Deswegen habe ich mir immer gedacht, ich muss unbedingt die Nibelungen in einer Graphic Novel umzaubern, auch weil ich Hildebrandt heiße. Denn der Hildebrand ist ja eine sehr wichtige Figur in der ganzen Geschichte.
Stephan Pesch