In seinem Buch "Griff nach den Sternen" erzählt der deutsch-niederländische Journalist und Historiker Christoph Driessen die Geschichte der EU von ihren Anfängen bis heute. Das macht er wirklich hervorragend: Das Buch ist sehr gut lesbar, sehr gut verständlich und auch sehr informativ. Eine gute Grundlage für alle anderen Bücher, die sich mit der EU beschäftigen.
Das erste "komplette" Buch, das im Thema am Abend besprochen wird, hat Markus Preiß geschrieben. Preiß ist Chef, beziehungsweise noch Chef des ARD-Studios in Brüssel. Sein Buch heißt "Angezählt. Warum ein schwaches Deutschland Europa schadet". Das ist auch die These, die Preiß in seinem Buch durchdekliniert.
ARD-Brüssel-Chef klagt an
Preiß stellt fest: Die ganzen Krisen, Corona, der Ukraine-Krieg mit seinen Folgen wie Energiemangel und die nötige Abwendung von Russland als Partner von Deutschland, haben Deutschland nicht gutgetan. Wenn Deutschland vor knapp zehn Jahren noch zum "Besten Land der Welt" von einem renommierten Institut der Universität Pennsylvania ausgerufen wurde - woran Preiß in seinem Buch erinnert - dann ist das heute ganz und gar nicht mehr so. Heute schwächelt Deutschland, und das täte der gesamten EU alles andere als gut.
Deutschland steht in der Pflicht
Denn Deutschland sei eben das größte und wichtigste Land in der EU, mit der stärksten Wirtschaft, mit den meisten Einwohnern und liege dazu auch noch im Herzen der EU. Das verschaffe Deutschland gleichsam eine natürliche Führungsrolle in der EU. Die könne aber nur gut eingenommen werden, wenn es Deutschland wieder gut gehe.
Deutschland sei durchaus dazu fähig, das Ruder rumzureißen. Dann nämlich, wenn die Bundesregierung - und hier vor allem Bundeskanzler Olaf Scholz - die „Zeitenwende“, von der er seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine gerne spricht, wenn Scholz also diese Zeitenwende endlich anfangen würde, aktiv zu gestalten. Nicht nur für Deutschland, sondern für die gesamte EU.
Europäisch denken - und handeln!
Bezogen auf die EU fordert Preiß einen deutschen Bundeskanzler, der europäisch denkt und handelt und der die EU-Partner dazu bringt, unbedingt nötige Reformen in der EU anzugehen. Reformen, die zu mehr Integration führen, also zu mehr Vereinheitlichung unter den EU-Staaten. Aber das passiere nicht, kritisiert Preiß.
Und darunter leide die EU. Nur Reformen würden die EU aus ihrer aktuellen Dysfunktionalität herausführen. 15 Jahre nach dem Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags sei es an der Zeit, neue Reformen in der EU zu beschließen.
Informativer Lesespaß
Das Buch macht Spaß zu lesen, ist sehr informativ und führt den Leser immer wieder in den Arbeitsalltag von Preiß hinein: Wenn er mit seinem Team als Korrespondent in den EU-Gebäuden unterwegs ist, in Spanien auf einem EU-Treffen weilt oder als Korrespondent in der Ukraine oder Polen. Der Leser bekommt dadurch einen Einblick in die Arbeit von Journalisten in der großen EU-Politik. Gerade für Menschen, die sich für aktuelle EU-Politik und die Rolle Deutschlands darin interessieren, ist das Buch ohne Einschränkungen zu empfehlen.
Preisgekrönte EU-Romane - und jetzt ein EU-Essay
Das zweite EU-Buch der Sendung hat der österreichische Schriftsteller Robert Menasse geschrieben. "Die Welt von Morgen" heißt es und ist ein Essay, also eine persönliche Auseinandersetzung von Menasse mit der EU.
Menasse hat schon zwei Romane über die EU geschrieben, die im Brüsseler EU-Milieu spielen. Dafür hat Menasse auch Preise bekommen. 2017 den Deutschen Buchpreis für seinen Brüssel-Roman "Die Hauptstadt", und im vergangenen Jahr den Europäischen Buchpreis für seinen zweiten Brüssel-Roman "Die Erweiterung".
Eine "nachnationale" EU
In seinem neuen Essay plädiert Menasse vehement für eine dringend nötige Weiterentwicklung der EU. Und zwar hin zu einem Gebilde, das Menasse "nachnational" nennt. Damit meint Menasse das Überwinden der Nationalstaaten, aus denen die EU heute besteht und die EU auch deutlich prägen. Zu deutlich und übrigens auch gegen die gültigen Verträge, wie Menasse behauptet.
Menasse meint, dass das nicht gut und auch nicht im Sinne der Gründer der EU sei. Diese hätten nach dem Zweiten Weltkrieg die Idee gehabt, das Nationale gerade zu überwinden nach den vielen Grauen und Schrecken der Kriege, die im Namen der Nationalstaaten geführt wurden.
Mehr Macht nach Brüssel
Den Weg zu einer solchen nachnationalen EU stellt sich Menasse wie folgt vor: mehr Kompetenzübertragung der Nationalstaaten auf die EU-Einrichtungen, auf die Kommission und auf das Europaparlament, und das Beschneiden der Entscheidungsmöglichkeiten von nationalen Regierungen bei der EU.
Dadurch könne ein großer, einheitlicher Lebensraum für alle Bürger in Europa entstehen. Was übrigens auch notwendig sei, wenn die EU tatsächlich im globalen Wettbewerb weiter eine Rolle spielen wolle. Als große einheitliche Werte-, Wirtschafts- und Sozialunion ohne nationales Denken könne man gut die aktuellen und künftigen Herausforderungen angehen und sogar selbst mitgestalten - so sieht das Menasse.
Habsburger Monarchie als Vorbild
Utopisch sei seine Idee einer nachnationalen EU übrigens nicht. Vielmehr zeige die Geschichte seiner eigenen Heimat, von Österreich nämlich, dass so ein nachnationales Gebilde durchaus existieren könne. Österreich sei bis zum Ersten Weltkrieg unter der Habsburgermonarchie ja auch ein Vielvölkerstaat gewesen, in einer Union mit Ungarn, ohne nationale Grenzen. Erst das Aufkommen der Nationalstaaten habe damals etwas kaputt gemacht, was im Grunde funktioniert habe. Nämlich ein Vielvölkerstaat, in dem überall die gleichen Regeln galten.
Begeisterung bei Menschen wecken
Dieser Essay von Menasse begeistert. Argumentativ, intellektuell und sprachlich befindet er sich auf einem hohen Niveau, unterhält dazu aber auch. Menasse ist manchmal ironisch, klar in seiner Analyse. Der Essay bietet gute Ideen, stellt viele Fragen, ohne darauf immer Antworten zu geben. Aber das sieht Menasse nicht als Makel.
Denn wichtiger als direkt auf alles Antworten zu haben sei, überhaupt einfach mal zu beginnen, über die Zukunft der EU zu reden. Nur in einer Weiterentwicklung der EU sieht Menasse die Chance, dass diese eigentlich doch sehr schöne und gute Idee der Europäischen Union auch bei den Menschen endlich auf Begeisterung stößt.
Die Bücher
Christoph Driessen, "Griff nach den Sternen", Pustet-Verlag, 288 Seiten. Preis: 29,95 Euro.
Markus Preiß, Angezählt“, dtv-Verlag, 288 Seiten. Preis: 20 Euro.
Robert Menasse, „Die Welt von Morgen“, Suhrkamp-Verlag. Preis: 23 Euro.
Hinweis
Der BRF veranstaltet am 16. Mai ab 18:30 Uhr eine Gesprächsrunde mit Christoph Driessen in der Landesvertretung NRW bei der EU in Brüssel.
Markus Preiß soll laut Angaben seines Verlags mit seinem Buch am 5. Juni zu Gast in der ARD-Sendung "Maischberger" sein.
Kay Wagner