"Architektur ist Machtdemonstration" - mit diesem prägnanten Satz beginnt das Buch "Monumental: Macht und Architektur in Brüssel". Denn wie Autor Manuel Schmitz hervorhebt: Je mehr finanzielle Mittel zur Verfügung stehen, desto größer kann gebaut werden. Manche Bauwerke würden den Machtanspruch ihres Besitzers beziehungsweise Bauherren geradezu herausschreien. Ein Paradebeispiel dafür sei der weltberühmte Palast von Versailles in Frankreich. Hier habe sich der "Sonnenkönig" Ludwig XIV. nicht nur architektonisch verewigt, sondern auch eben für alle unübersehbar demonstriert, wie viel Macht er hatte.
Um solche Machtdemonstrationen in Gebäudeform zu sehen, muss man aber natürlich nicht erst nach Paris reisen. Auch Brüssel mit seiner über tausendjährigen Geschichte hat hier viel zu bieten. Das weiß Manuel Schmitz aus eigener Erfahrung, denn der eigentlich aus Trier stammende Schmitz lebt und arbeitet seit mittlerweile vielen Jahren in Brüssel. Mehr noch: Er bringt es Touristen regelmäßig auch selbst als Museums- und Stadtführer nahe.
Zu den ältesten architektonischen Machtdemonstrationen in der Hauptstadt – zumindest von denen, die bis heute erhalten geblieben sind – gehört für ihn zunächst die mittelalterliche Kathedrale von Brüssel. Und dann natürlich das ins Auge springende Rathaus auf der Grand-Place. Das Rathaus zeige nämlich ebenfalls schon, wie stolz und wie mächtig die Bürger der mittelalterlichen Stadt gewesen seien.
Das Mittelalter ist aber natürlich nur eine der vielen Etappen in der bewegten Geschichte der Stadt. Eine andere, die das Erscheinungsbild Brüssels bis heute massiv prägt, ist dann die Zeit um die Gründung des Königreichs herum. Aus dieser Entstehungsphase des heutigen Belgiens stechen für Schmitz zunächst zwei Bauwerke besonders hervor – die zwei Königspaläste der Stadt: der, wenn man so möchte, "Privatpalast" in Laeken und der etwas öffentlichere Palast in der Stadtmitte. Letzterer sei topographisch dem Parlament gegenübergestellt, die beiden Institutionen blickten sich – über die Bäume des dazwischenliegenden Parks – sozusagen in die Augen, führt Schmitz aus.
Der Stadtpalast veranschauliche aber auch gut die Vision des Königshauses: Der Palast ziehe sich nämlich auffällig in die Länge, er betone die Horizontale in seiner Architektur. Sich so breitzumachen im Stadtraum sage eigentlich aus, dass man für Stabilität stehe, so Schmitz. Das belgische Königshaus betrachte sich selber also als eine Institution der Einheit und Stabilität. Wohingegen das gegenüberliegende Parlament eher für die Debatte, für den Wechsel der Regierung stehe.
Ein weiteres Wahrzeichen der Stadt, das in keiner Besichtigung fehlen darf und das wirklich jeder zumindest grob vor Augen hat, ist dann natürlich das Atomium. Und auch das sei mit seinem zunächst vielleicht verrückt anmutenden Design ein Symbol, das etwas ausstrahlen sollte.
Um zu wissen, was, müsse man sich zunächst seine Entstehungsgeschichte in Erinnerung rufen. Denn das Atomium wurde ja 1958 anlässlich der ersten Weltausstellung nach dem Zweiten Weltkrieg erbaut. Für das "kleine" Belgien sei es also auch darum gegangen, sich auf der internationalen Bühne zu präsentieren. Das Atomium sei also von vornherein nicht nur als Symbol für die Weltausstellung gedacht gewesen, sondern mit seinen über hundert Metern Höhe auch als ein Symbol nationaler Größe.
Macht sollte aber nicht nur über die Größe der Konstruktion demonstriert werden, sondern auch über sein Design: Denn das besteht ja aus neun Kugeln. Und in den 1950er-Jahren hatte Belgien neun Provinzen. Man könne also argumentieren, dass die neun durch Röhren verbundenen Kugeln für die damaligen neun Provinzen standen, die sich zu einem, starken Element zusammenfügten – am Ende bekomme man also nicht nur das Eisen, dessen Kristall die Anordnung darstellt, sondern eben auch den Wahlspruch des Landes "Einheit macht stark".
Wie stark es um diese "Einheit" tatsächlich bestellt ist, ist in den vergangenen Jahrzehnten aber bekanntermaßen immer wieder infrage gestellt worden. Und diese gemeinschaftspolitischen Untiefen könne man auch an der späteren Geschichte des Atomiums ablesen, meint Schmitz. Ursprünglich sei ja geplant gewesen, das Atomium nach der Weltausstellung wieder abzubauen. Bis sich die zunächst temporär angelegte Konstruktion eben als wunderbare Touristenattraktion entpuppt habe.
Das Problem dabei sei allerdings gewesen, dass sich niemand so wirklich verantwortlich gefühlt habe für diese neue Attraktion, die einzelnen Teile des Landes seien ja dabei gewesen auseinanderzudriften. Die Folge: Die anfangs glänzenden Kugeln hätten nach und nach ihren Glanz verloren. Bis sich Anfang der 2000er-Jahre irgendwann die Frage gestellt habe, was nun weiter mit dem unansehnlich gewordenen Eisenkristall-Modell geschehen sollte. Schließlich habe man sich dann auf eine Sanierung geeinigt, heute erstrahlten die Kugeln ja wieder.
Bezeichnend sei allerdings, dass als Begründung für diese Sanierung vor allem der in Zeiten des Städtemarketings wichtig gewordene "ikonische" Status des Gebäudes angeführt worden sei. Es sei also vielleicht gar nicht so sehr darum gegangen, eine nationale Botschaft auszusenden, so Schmitz, sondern vor allem auch darum, weiter dafür zu sorgen, dass die Touristen nach Brüssel kommen, um das Atomium zu bewundern. So habe sich also ein bisschen auch die Wahrnehmung dieses Symbols gewandelt.
Das Buch "Monumental: Macht und Architektur in Brüssel" von Manuel Schmitz ist im "Endlich Verlag" erschienen. Mehr Infos über Manuel Schmitz gibt es auf der Webseite des Autors.
Boris Schmidt