Von Glanz und Glamour keine Spur. Ohne Schild, ohne Namen neben der Eingangstür weist nach außen nichts darauf hin, dass in der 14. Etage des farblosen Hochhausgebäudes am Boulevard Général Jacques in Sichtweite des Brüsseler Parks Bois de la Cambre die Verlagsräume eines großen Gewinners liegen.
"Mehr als 2.300 Bücher haben sich dieses Jahr um die Preise beworben", erinnert sich Elisabeth Jongen. 2001 hatte sie den bis heute unabhängigen Verlag Versant Sud in Brüssel gegründet.
Seit 2016 veröffentlicht der Verlag auch Kinder- und Jugendbücher. Und seitdem ist Versant Sud Jeunesse auch regelmäßig Gast bei der weltweit größten Messe für Kinder- und Jugendbücher in Bologna. Acht Preise, die Bologna Ragazzi Awards, werden auf dieser Messe verliehen, und dieses Jahr waren es ganz genau 2.349 Bücher von 644 Verlagen aus 59 Ländern, die eine dieser begehrten Trophäen gewinnen wollten. Dass ein belgischer Verlag bei der Preisvergabe am Ende die Nase vorne hat, ist in Bologna eine Seltenheit. Dieses Jahr jedoch passierte es: In der Kategorie "Bestes Erstlingswerk" fiel die Wahl der Jury auf ein Buch des Brüsseler Verlags Versant Sud Jeunesse.
"Der Preis war eine große Überraschung, eine enorme Freude", sagt entsprechend Fanny Deschamps, bei Versant Sud zuständige Verlegerin für Kinderbücher. "Das ist wirklich eine enorme Anerkennung unserer Arbeit, und natürlich der Arbeit unserer Autorin und Illustratorin, Laura Simonati."
Tatsächlich ist das preisgekrönte Kinderbuch eine belgisch-italienische Co-Produktion. Die junge Autorin Laura Simonati ist in Verona geboren. Dem Bachelor-Abschluss in Kunst und Design an der Universität Bozen folgte 2021 ein Master in visueller Kommunikation an der Brüsseler Nationalen Hochschule für visuelle Kunst La Cambre. Simonati lebt immer noch in Brüssel. Ihr erstes Buch "Mariedl, eine gigantische Geschichte", schickte sie zunächst an eine Online-Plattform (dPcitus). Dort wurde Verlegerin Fanny Deschamps auf sie aufmerksam. Ein Erfolgsduo hatte sich gefunden.
"Das Buch ist deutlich anders als normale Kinderbücher", erklärt Deschamps, warum sie Simonati zum Verlag holte. "Besonders in der graphischen Gestaltung ist es besonders. Sowohl bei den Bildern als auch der Schrift. Der Text ist mit der Hand geschrieben und ist Teil des Bildes."
Im Buch werde auch mit Formen und Farben gespielt, erklärt Deschamps weiter. "Es werden wenige, aber gut ausgewählte Farben verwendet. Und es ist wirklich all das, was die Jury als besonders erkannt hat."
Erzählt wird in dem Buch eine wahre Geschichte, die Geschichte der Riesin Mariedl, die Ende des 19. Jahrhunderts in Südtirol gelebt hat. "Sie ist in einem Wanderzirkus aufgetreten, um ihren Eltern finanziell zu helfen. Das war eine Freakshow", erklärt Verlegerin Deschamps. "Und in dem Buch wird Mariedl versuchen, aus dem Zirkus zu fliehen."
Der bereits im März vergebene Preis in Bologna zeigt mittlerweile auch schon seine Wirkung. 20 bis 30 mal mehr Anfragen als üblich seien beim Verlag für das preisgekrönte Buch eingetroffen, berichtet Deschamps. Anfragen nach Textproben, um das Buch eventuell in andere Sprachen für andere Märkte zu übersetzen. Verträge mit Verlagen aus Korea, China und den USA seien auf gutem Wege.
Das Interesse aus dem deutschsprachigen Bereich an dem preisgekrönten Buch aus Brüssel hält sich dagegen zurzeit noch in Grenzen. Was damit zusammenhängen könnte, dass der deutschsprachige Markt nicht unbedingt zu der Avant-Garde im Bereich illustrierte Kinderbücher gehört, versucht sich Deschamps das zu erklären.
Buchdetails
Laura Simonati - Mariedl, une historie gigantesque
Für Leser ab fünf Jahren geeignet
64 Seiten - 18 Euro
Erschienen im Brüsseler Verlag Versant Sud Jeunesse
Kay Wagner