Die Geschichte beginnt mit einem Unfall. Ein Wagen landet auf einer scheinbar einsamen Landstraße im Graben. Der Fahrer bleibt zwar unverletzt, aber einer seiner Koffer landet im Gebüsch. Hier hockt zufällig ein Vagabund, der sich schnell den Koffer schnappt und im Wald verschwindet. Doch als er dort seine vermeintlich wertvolle Beute öffnet, verzieht er plötzlich völlig verschreckt sein Gesicht. "Was bin ich doch für ein Pechvogel" ruft er aus und wirft den Koffer samt Inhalt entsetzt mit großem Schwung so weit wie möglich in den nahegelegenen Fluss.
Doch wie es weitergeht und warum der Vagabund so in Panik reagiert, bleibt ein Geheimnis. Der Autor und Comiczeichner Maurice Tillieux vollendet seine Geschichte nicht. Nur acht Seiten stellt er fertig und den Titel: "Die Lastwagen des Teufels". Es sollte das zweite Abenteuer rund um den fiktiven Fotoreporter Marc Jaguar werden, der zusammen mit einem Kollegen verzwickte Kriminalfälle löst.
Maurice Tillieux, der Erschaffer von Marc Jaguar, wird 1921 in Huy bei Lüttich geboren. Er schreibt mit an der Comicserie "Harry und Platte", aber bekannt machen ihn seine Detektivserien "Felix" und "Jeff Jordan", der mit seiner cleveren Sekretärin Steffi Abenteuer besteht.
Doch während der belgische Autor mit seinem Helden Jeff Jordan besonders die französischen Gesetzeshüter lächerlich macht, überwiegt bei den Abenteuern von Marc Jaguar eher die spannende Geschichte. Marc Jaguar ist ein draufgängerischer Mensch, dessen Abenteuer von Kriegsvorbereitungen, Waffenschiebern und Radioaktivität handeln. Sie sind voller Tempo und münden oft in rasante Autofahrten, geschrieben mit witzigen und selbstironischen Dialogen.
Die erste und vollständig veröffentlichte Geschichte um Marc Jaguar heißt "Das Geheimnis am Forellensee" und erscheint 1957 zum ersten Mal. Jetzt anlässlich des 100. Geburtstages von Tillieux hat der Carlsen Comic Verlag den Band neu aufgelegt. Er enthält als Extra nicht nur zahlreiche Zeichnungen und Originalseiten, sondern auch eine ausführliche Schilderung des Lebens von Tillieux und der Entstehungsgeschichte seines Comics.
Allein schon dieser Band ist eine schöne Hommage, aber dabei belassen es die Herausgeber nicht. Denn da ist immer noch die unvollendete Geschichte mit dem mysteriösen Koffer. Die lässt aber auch einem anderen Comiczeichner keine Ruhe. Der belgische Autor François Walthéry - bekannt mit seinen Geschichten um die Stewardess Natascha - war schon immer Fan von Tillieux, der für ihn auch einige Szenarien geschrieben hat.
Noch zu Lebzeiten fragt er seinen Zeitgenossen immer wieder, wie die Geschichte mit dem geheimnisvollen Koffer denn weitergeht. Doch Tillieux erklärt jedes Mal betont lässig, dass er es vergessen habe. Wahrscheinlicher ist, dass er es selber nicht wusste, denn er arbeitete als Serienautor, der sich eher von Seite zu Seite hangelt.
Als Maurice Tillieux 1978 mit nur 56 Jahren auf einer Autofahrt nach Nizza bei einem Unfall stirbt, scheint die Fortsetzung für immer ein Mysterium zu bleiben. Doch François Walthéry lässt die Geschichte nicht los und zusammen mit zwei weiteren vollendet er die Geschichte, von der nur die acht Seiten und der Titel vorhanden waren. Und so entsteht daraus ein neuer vollständiger Band, wie aus der Feder von Tillieux, denn in der Art der Erzählung und in den Zeichnungen halten sich die neuen Autoren fast komplett an seinen Stil.
In dem jetzt erschienenen Band "Die Lastwagen des Teufels" wird das Geheimnis des Koffers auf nachvollziehbare Weise gelöst, und das Erschrecken des Vagabunden wird auch den Lesern verständlich. Die Geschichte ist so abwechslungsreich und spannend erzählt, dass man bedauert, dass sich hier ein Kreis franko-belgischer Comicgeschichte schließt. Man wünscht sich zu sehr, es gäbe noch mehr von Tillieux’ Marc Jaguar zu lesen und zu schauen.
Doch die Autoren schaffen eine kleine Hintertür. Denn auch wenn sie sich fast vollständig an den Stil von Tillieux halten, auf den letzten Seiten des Comics lassen sie Marc Jaguar die Bekanntschaft einer Stewardess machen. Ihr Name ist Natalie, die ihm erzählt, auch ihre Tochter solle einmal diesen Beruf ergreifen. Ein Schelm, wer dabei an Natascha denkt. Und irgendwie ist es fast so, als würde die Geschichte doch nicht einfach so enden.
Katja Engel