Das Lütticher Opernhaus ist bekannt für seine sehr italienische Prägung. Das hat eine lange Tradition und spiegelt sich auch wider in der künstlerischen und administrativen Leitung des Hauses. Seit 2020 ist Stefano Pace Intendant der Oper, und seit 2022 ist Giampaolo Bisanti der Chefdirigent. Beide sind Italiener, aber beide arbeiten gemeinsam daran, diese starke italienische Orientierung des Hauses aufzubrechen und zu erweitern.
Ein Mittel dazu ist die Programmierung von nicht-italienischen und nicht-französischen Stücken, um das treue Lütticher Publikum an anderes Repertoire heranzuführen - nicht durch einen radikalen Umbruch, sondern durch langsame und stetige Erweiterung des musikalischen Horizonts. Und die Oper "Rusalka" von dem tschechischen Komponisten Antonin Dvořák ist das perfekte Stück in diesem Kontext. Es ist Dvořáks bekannteste Oper - eine von insgesamt zehn - und trotzdem ist sie in der Königlichen Oper der Wallonie noch nie aufgeführt worden, obschon das Haus ja schon seit über 200 Jahren existiert.
Drama pur hört man schon in der Ouvertüre von "Rusalka". Antonin Dvořák kennen die meisten ja von seinen sinfonischen Werken wie seiner Sinfonie "Aus der Neuen Welt"; aber vor allem zum Ende seiner Karriere hin war Dvořák davon überzeugt, dass die Oper der beste Ort ist, um dem tschechischen Volk eine kulturelle Identität im Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn zu verschaffen. Und so hat er als Thema für "Rusalka" eine bekannte Legende gewählt, die es - nicht nur, aber auch - im tschechischen Volksglauben gab: die Legende von der Meerjungfrau, die sich in einen menschlichen Prinzen verliebt und darum selbst zum Menschen werden will.
Dieser Wunsch wird der Nixe Rusalka durch eine Hexe erfüllt, die ihr zwar Beine gibt, dafür aber ihre Stimme wegnimmt. Und als stumme Braut eines Prinzen und als völlig Fremde in einer unbekannten Welt kann die Geschichte einfach nicht gut ausgehen. Drama pur also. Das Liebesglück währt nur kurz; am Ende stirbt der Prinz, und die Nixe ist dazu verdammt, als Ausgestoßene auf dem Grund des Sees zu leben.
Diese dramatische Story hat Antonin Dvořák in herrlich mitreißende Musik verpackt. Die bekannteste Arie aus der Oper singt die Nixe Rusalka, als sie dem Mond von ihrer Sehnsucht nach einem menschlichen Körper erzählt. In Lüttich wird die Rolle der Rusalka von der Amerikanerin Corinne Winters gesungen, und alles an ihr ist hervorragend: ihr Gesang, ihr Schauspiel, ihre Interpretation der Rolle und ihre Glaubwürdigkeit.
Überhaupt ist diese Produktion einfach fantastisch besetzt, und kein einziger der Solisten hat bei der Aufführung, die ich besucht habe, auch nur die kleinste Schwäche gezeigt. Der Chor hat in dieser Oper relativ wenig zu tun, war dafür aber in Bestform und hat mich diesmal restlos überzeugt. Und das Orchester ist ganz einfach wunderbar; ab der ersten Note vergisst man, dass hier ein Live-Orchester spielt, und man wird hineingesogen in die Geschichte - wie bei einem guten Film mit toller Filmmusik.
Bei dieser Produktion passt einfach alles: das Bühnenbild, die Kostüme, die schlichte aber sehr passende Verwendung von Videoprojektionen, und nicht zuletzt die sichere und konsequente Leitung von Giampaolo Bisanti, der die allererste Lütticher Aufführung dieser tschechischen Oper zu einem ganz besonderen Erlebnis macht. Ich würde sagen: Weiter so! Dieser Mut zur Erweiterung des Repertoires tut den franko-italienisch geprägten Lüttichern mehr als gut!
Patrick Lemmens