"Europa steht vor einer großen Umweltkrise, und diese Umweltkrise drückt sich unter anderem in großen Mengen von Müll aus. Das ist ein Thema, das die Europäische Union beschäftigt, was die europäischen Bürger beschäftigt. Und da haben wir gedacht: Es ist ein interessantes Thema für unsere Ausstellung. So kam das am Anfang. Dass wir uns wirklich gefragt haben: Wie können wir uns mit dem Klimawandel und der Umweltkrise auseinandersetzen", erzählt die Deutsche Sophie Freitag, die als Mitglied des Kuratorenteams die Brüsseler Ausstellung zum Thema Müll mitgestaltet hat. Zu sehen ist sie auf zweieinhalb Ebenen des Hauses der Europäischen Geschichte, direkt neben dem Brüsseler Europaparlament.
"Wir laden die Besucher und Besucherinnen dazu ein, sich neu mit dem Thema Müll auseinanderzusetzen. Und da soll es nicht nur um die Umweltkrise gehen und die vielen Mengen an Plastik, die wir aus Film, Fernsehen und der Natur ja auch schon leider kennen, sondern es geht auch darum, uns selber zu fragen: Was ist für uns Müll? Was bedeutet das für uns? Und was kann Müll eigentlich auch mal ein bisschen spannend machen? Weil das ein Thema ist, mit dem man sich wirklich selten auseinandersetzt. Oder das man so wegdrückt, weil es so ekelig ist. Aber eigentlich gibt das viele interessante Geschichten zu entdecken und die wollen wir den Besucherinnen und Besuchern zeigen."
Und so werden im ersten Teil der Ausstellung Abfall-Objekte plötzlich zu Kunstgegenständen, die in Vitrinen hinter Glas ausgestellt sind, und zu denen per Knopfdruck Geschichten erzählt werden: Woher der Abfall kommt, was er bedeutet, wem er gehört hat. Auch Reflexionen zum Thema werden angestoßen: Das Wort "Abfall" wird an einer Wand genauso in seine Einzelteile zerlegt wie das Wort "Wegwerfen". Weg – ja. Aber wohin? Dieses "Weg" ist auch ein Ort, und meist ein Ort am Rand der Gesellschaft.
"Wir denken oft nicht über Müll nach. Wir möchten nicht über Müll nachdenken. Weil es irgendwie schmutzig, ekelig ist, und weil wir schon ahnen, dass es irgendwie ganz schlecht für die Umwelt ist. Aber Müll war früher eine riesige Ressource. Und kann es immer noch sein. Und wir müssen genauer hinschauen, was unser Müll uns vielleicht noch bieten kann."
Wie in der Vergangenheit mit Müll umgegangen wurde, zeigt der zweite Teil der Ausstellung. Sie verdeutlicht an vielen Beispielen aus dem 19. Jahrhundert, dass damals organischer Abfall regelmäßig wiederverwendet wurde. Die Klospülung mit Wasser war zum Beispiel manchen ein Graus, weil dadurch die Ausscheidungen des Menschen direkt in die Abwasserkanäle kamen und nicht wiederverwendet werden konnten für Dünger auf den Feldern.
Zu einem größeren Problem wurden Müll und Abfall ab dem Zeitpunkt, als es den Menschen gut ging und Wohlstand sich verbreitete. In Westeuropa wandelte sich die Gesellschaft ab den 1950er/60er Jahren zu einer ähnlichen Abfallgesellschaft, wie bereits zuvor die USA. Anders dagegen im Osten von Europa. Dort – unter kommunistischer Herrschaft – blieb der Wohlstand für die Massen aus. Hier wurden Gegenstände weiter regelmäßig wiederverwendet, repariert, Ressourcen geschont.
Was jetzt, wo Müll als großes Problem für Umwelt und Klima erkannt ist, zumindest in Europa wieder modern und deshalb auch in der Brüsseler Ausstellung thematisiert wird. "Wir möchten natürlich auch ein bisschen Hoffnung geben. Wir haben Müllexperten aus Brüssel eingeladen, oder aus ganz Belgien auch, die ein bisschen erzählen, wie sie sich schon mit dem Müll auseinandersetzen und was für tolle Methoden es schon gibt, Müll zu reduzieren oder neu nutzbar zu machen. Also ich denke, dass wir viele Ansätze zeigen, die Mut machen und schön und interessant sind."
Mit zehn anderen europäischen Museen in acht verschiedenen Ländern hat das Haus der Europäischen Geschichte die Ausstellung auch ins Internet gebracht. Auf einer interaktiven Plattform können zahlreiche Gegenstände und Geschichten aus diesen anderen Museen rund um das Thema Müll und Abfall entdeckt werden.
Im Katalog zur Ausstellung beschäftigen sich zahlreiche Autoren in Aufsätzen mit vielfältigen Aspekten zum Thema. Der Katalog ist nur in englischer Sprache vorhanden. Die Ausstellung selbst kann in Brüssel komplett auch in deutscher Sprache genossen werden.
Die Ausstellungsmacher haben übrigens bei der Vorbereitung darauf geachtet, so wenig Müll wie möglich zu produzieren. Mit-Kuratorin Sophie Freitag nennt das ein "zirkuläres Projekt".
Und das hat auch mit dem Teil der Ausstellung zu tun, das ihr besonders ans Herz gewachsen ist: "Ein Teil, der mich ganz besonders berührt hat, ist gleich am Anfang unserer Müllausstellung. Denn wir haben fast ein ganzes Jahr unseren Müll im Museum gesammelt. Alles, was nicht ganz eklig war. Also alles, was man sauber machen konnte und dann eben in ein Museum bringen konnte. Das haben wir gesammelt und haben eine große Installation daraus gemacht. Und die gefällt mir einfach richtig gut. Die ist schön. Unser Müll ist schön geworden. Und es ist eben Teil dieses zirkulären Projekts. Und das ist, worauf ich schon stolz bin."
Die Ausstellung "Ausgedient. Die Geschichte der modernen Wegwerfgesellschaft" ist ab Samstag, 18. Februar, und noch bis zum 14. Januar 2024 im Haus der Europäischen Geschichte zu besichtigen. Der Eintritt ist kostenlos.
Kay Wagner