Das Agora-Theater sollte auf Einladung des Moskauer Goethe-Instituts das Stück "Hannah Arendt auf der Bühne" aufführen - einmal in Krasnodar und ein zweites Mal in Rostow am Don. Zu der zweiten Aufführung, die für vergangenen Freitag geplant war, sollte es aber nicht mehr kommen. Das Ensemble reiste im Bus nach Moskau und nahm dort am Wochenende ein Flugzeug nach Düsseldorf. Auf der Reise hatte das Ensemble nach eigenen Worten viele bewegende Begegnungen mit Russen und Russinnen, die den Krieg nicht wollen. Der BRF sprach mit einem Mitglied des Ensembles, mit Céline Leuchter. Sie ist Bühnenbildnerin, Technikerin und Spielerin bei der Agora:
Wie haben Sie die freie Theaterszene dort erlebt?
Wir hatten zwei ganz tolle Begleiter, die können beide sehr gut Deutsch, waren gleichzeitig unsere Übersetzer und haben alles organisiert. Das waren auch unsere Sprachrohre, weil auch mit Englisch kommt man nicht sehr weit dort. Da wären wir schon aufgeschmissen gewesen. Wir sind wahnsinnig herzlich empfangen worden, also mit einer ganz großen Offenheit, mit einer ganz großen Neugierde auf uns, würde ich auch sagen. Aber ich glaube, das war auch von beiden Seiten gegeben, mit dem Willen, alles möglich zu machen. Alles war irgendwie fremd und doch war alles gleich, weil wir gemerkt haben, wir sind alle Leute, die Theater machen. Das haben wir auch nachher alle noch gesagt. Ja, es war ein sehr intensives Erlebnis mit den Kollegen.
Schon zu diesem Zeitpunkt, also noch vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine, war die politische Lage sehr angespannt. Inwiefern hat das dann auch vielleicht in den Gesprächen eine Rolle gespielt?
Das hat jetzt bis auf einzelne Kommentare erst mal keine Rolle gespielt. Wir waren natürlich mit unserem Stück da, ich bin ja vor allem die Bühnenbildnerin und spiele zwar auch mit in der Inszenierung, aber das war natürlich erst mal eine große organisatorische Sache: Die Bühne musste aufgebaut werden, man muss alles regeln, wo hängt das usw. Das heißt, es waren natürlich erst mal sehr viele Gespräche, die praktische Dinge betreffen. Aber wir hatten am Tag unserer Aufführung ein Zuschauergespräch. Und da war auch das gesamte Ensemble anwesend und mit denen hatten wir schon einen regen Austausch, auch teilweise auf Englisch. Da ging es schon sehr viel um die angespannte Lage, dass sie sich Sorgen machen. Es ging auch um Corona, dass sie sich eingesperrt fühlen, weil sie seit zwei Jahren nicht ausreisen können, weil nirgendwo die Impfung anerkannt wird. Darum ging es zu diesem Zeitpunkt auch noch. Was als Sorge auf jeden Fall spürbar war, das war in einzelnen Aussagen und auch in der Arbeit von ihnen: Sie finden den demokratischen oder basisdemokratischen Grundgedanken wichtig und das ist natürlich in so einem Regime sehr schwierig. Da haben sich viele bedeckt geäußert, aber ganz klar gezeigt, dass sie mit der Politik von Putin nicht einverstanden sind und dass sie auch darunter leiden. Das Zuschauergespräch nach unserer Inszenierung hat eine ganze Stunde gedauert und war wahnsinnig emotional. Es gab viele Wortmeldungen von Menschen, die unglaublich dankbar waren, dass wir so weit gereist sind mit diesem Thema oder dass wir uns überhaupt trauen, dieses Thema auf die Bühne zu bringen. Und ich finde, das ist auch eine ganz wichtige Sache. Sich das immer wieder zu sagen, dass da nicht ein ganzes Volk dahinter steht.
Für diese Leute sind dann Auftritte wie die von Agora auch so was wie ein Fenster nach außen?
Auf jeden Fall. Und auch die Möglichkeit, einfach mal mit anderen Menschen, die aus einem anderen Kontext kommen, zu diskutieren und zu reden. Das haben wir wirklich gespürt, dass da auch so ein Hunger auf die Welt ist und auf den Austausch, der lange nicht möglich war oder vielleicht auch jetzt lange nicht mehr möglich sein wird. Die Traurigkeit war auch da, das war schon sehr spürbar und die Kollegen sind nachher zu uns gekommen und haben uns verabschiedet und haben gesagt: Danke, das waren die zwei schönsten Tage unseres Lebens.
Stephan Pesch