Wenn Isolde bei den betörenden Klängen aus dem Orchestergraben den Liebestod stirbt, dann findet in dieser neuen Produktion der Brüsseler Oper La Monnaie von "Tristan und Isolde" eine rund fünfstündige ästhetisch und musikalisch traumhafte schöne Klang- und Bilderreise ein berührendes Ende. Sicher, an Handlung passiert sehr wenig bis gar nichts auf er Bühne, wen wundert es, Tristan und Isolde ist nicht gerade eine actionreiche Oper, aber man ist gefesselt von den Bildern und vor allem zutiefst bewegt von der musikalischen Umsetzung durch Sänger und Orchester.
Für das künstlerische Gesamtkonzept zeichnen der Filmregisseur Ralf Pleger und der Bildende Künstler Alexander Polzin verantwortlich. Die Handlung zu erzählen ist nicht ihr Ansinnen, sie geben uns Bilder, die von Akt zu Akt verschieden sind und überlassen es uns diese zu deuten.
Selbst wenn einige der Ideen nicht immer gleich nach vollziehbar sind, ist allen eine unvergleichlich hohe Ästhetik gemeinsam. Drei Akte, die jeweils andere optische Momente anbieten und doch ein großes Ganzes ergeben.
Im ersten Akt sehen wir von der Decke hängende Tücher, die an Stalaktiten erinnern. Sie wachsen ganz langsam nach unten. Ein besonders imposanter Stalaktit wird am Ende des ersten Aktes im Zentrum der Bühne das Bild bestimmen, um diesen herum kreisen langsam sowohl Tristan und Isolde als auch ihre jeweiligen Begleiter Kurwenal und Brangäne.
Wie bei den legendären Inszenierungen von Robert Wilson berühren sich die Protagonisten nicht, wir sehen nur zeitlupenartige Bewegungen. Es versteht sich fast von selbst, dass hier nicht tatsächlich ein Liebestrank gereicht wird, der den vermeintlichen Todestrank der beiden ersetzt und sie jetzt in ewige Liebe vereint.
Der zweite Akt, für mich der schönste und berührendste, spielt um und in einem stilisierten weißen abgestorbenen Baumgestrüpp. Es ist aber auch möglich darin Synapsen oder warum nicht eine Koralle zu erkennen. Hier können wir unserer Phantasie freien Lauf lassen.
Und unsere Phantasie wird noch mehr angeregt durch die Tatsache, dass diese große Skulptur sich plötzlich und ganz allmählich mit Leben erfüllt. Denn in der großen Plastik ruhten während Minuten elf Tänzer, ebenso weiß wie die Skulptur und sie erwecken die bis dahin statische Figur mit Leben. Ein ästhetisch wunderschönes Bild, das man so schnell nicht vergessen wird.
Auch für den dritten Akt haben Pleger und Polzin ein neues Bild kreiert: Eine riesige Wand mit zahllosen Löchern aus denen dann durchsichtige Plastikröhren hervor fahren, die dank ausgeklügelter Lichtregie immer neue Schatten werfen. Vor dieser Wand wird Isolde ihrem Tristan in den Tod folgen.
Aber was wäre eine Oper bei aller Kraft und Sinnlichkeit der Bilder ohne die Musik. Welch ein berauschendes Erlebnis ist dieser Tristan. Dirigent Alain Altinoglu zaubert aus dem Orchestergraben einen unvergleichlich schönen Wagnerklang.
Altinoglus Deutung ist geprägt von einer phantastischen Klangtransparenz, ohne dabei den ergreifenden Bogen vermissen zu lassen. Er lässt den Sängern den notwendigen Raum, verlangt von seinen Musikern ein stets nuancenreiches Spiel und baut eine bis zu Isoldes Liebestod nie abbrechende Spannung auf. Schöner und berührender kann man Wagner nicht interpretieren.
Und die Sänger überzeugen zunächst schon durch eine erstaunlich deutliche Aussprache. Es ist nicht die Regel, dass man bei einer Wagner-Oper den Text versteht.
Aufgrund der dichten Aufführungsfolge gibt es zwei, für Isolde sogar drei Besetzungen. Wir haben zwei Vorstellungen besucht und es ist kaum möglich einer der beiden Besetzungen den Vorzug zu geben: Sowohl Bryan Register als auch Christopher Ventris sind kraftvolle und in der Höhe sehr sichere Tristan, Nora Gubisch und Eve-Maud Hubeaux jeweils sehr gute Brangänes.
Am Premierenabend sang Ann Petersen souverän die Isolde, bei der Vorstellung von Dienstag Abend war dies Ricarda Merbeth, die grandios spielte und sang, wobei sie recht kurzfristig für die ursprünglich vorgesehene Kelly God einspringen musste. Eine Meisterleistung an schnellem Verständnis der Regievorgaben. Und Franz-Josef Selig zeigte wieder einmal, dass es derzeit kaum einen besseren König Marke als ihn gibt.
Dieser "Tristan" ist ein starker Musiktheaterabend mit unvergleichlichen Bildern, grandiosen Solisten und einem Orchester, das dank der musikalischen Leitung von Alain Altinoglu keine Wünsche offen lässt.
Bis zum 19. Mai steht Tristan und Isolde noch auf dem Programm von La Monnaie. Mehr Infos auf: lamonnaie.be.
Hans Reul