Die EU-Kommission sieht nach einem Zeitungsbericht Anlass zu scharfer Kritik an der Menschenrechtssituation in der Türkei. Das berichtete die "Welt am Sonntag" unter Bezug auf einen Entwurf der Brüsseler Behörde zum sogenannten Fortschrittsbericht. Darin zieht die EU-Kommission jährlich Bilanz zur Lage in EU-Kandidatenländern. Für die Türkei konstatiert der Entwurf demnach "bedeutende Rückschritte auf dem Gebiet der Meinungs- und Versammlungsfreiheit". Eine Sprecherin der Behörde wollte den Artikel nicht kommentieren.
Politische Aktivisten und Journalisten würden "eingeschüchtert" und durch "übermäßigen Einsatz von Gewalt" in ihren Grundrechten eingeschränkt, heißt es der Zeitung zufolge in dem Papier. Auch die Grundrechte von Lesben, Schwulen, Trans- und Intersexuellen würden nicht ausreichend geschützt. Zudem fordere der Bericht eindringlich eine Rückkehr zum Friedensprozess mit den Kurden und mahnt ein "entschlossenes Vorgehen" gegen islamistische Terroristen in der Türkei an.
Die EU setzt zur Bewältigung der Flüchtlingskrise auf die Türkei und will die Verhandlungen über einen EU-Beitritt das Landes vorantreiben. Für den 1. November hat Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan eine Parlamentswahl angesetzt. Nach Informationen der "Welt am Sonntag" soll der Bericht erst danach veröffentlicht werden.
Die Veröffentlichung des Papiers hat sich verzögert. Auf Nachfragen erklärte die EU-Kommission wiederholt, Kommissionschef Jean-Claude Juncker werde für die Vorstellung des Papiers ein Datum wählen, "das seine Bedeutung widerspiegelt" und die nötige mediale Aufmerksamkeit sicherstelle.
In den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Montag-Ausgaben) forderte Juncker, "den Beitrittsverhandlungen wieder neuen Schwung zu verleihen". Die Annäherung solle aber nicht dadurch vorangetrieben werden, "dass wir Standards senken, sondern indem wir gemeinsam daran arbeiten, dass die Bedingungen dafür schneller erfüllt werden", so Juncker deutlich. Dazu gehöre auch die schnellere Umsetzung des Rückübernahmeabkommens für Angehörige von Drittstatten, das die Türkei mit der EU unterzeichnet habe.
Die Co-Vorsitzende der Partei Alternative für Deutschland (AfD), Frauke Petry, erklärte, Brüssel werfe "in seiner Not auf einmal alle Bedenken bezüglich eines Türkei-Beitrittes über Bord. Das ist unehrlich und verhöhnt die Menschen in Europa, die jahrzehntelang um Menschenrechte, Pressefreiheit und andere demokratische Standards mit der Türkei gerungen haben."
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