Ach, was war es bis vor Kurzem doch noch einfach! Verlässlich und vergleichsweise kostengünstig flossen Gas und Öl von Russland aus in die EU, Energiesorgen gab es nicht. Dass das irgendwann mal nicht mehr so sein könnte, darüber hat offensichtlich nie jemand ernsthaft nachgedacht. Entsprechend böse war das Erwachen am 24. Februar 2022. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine mit seinen Folgen ließ Europa in die Krise schlittern: Mit einem Mal schien dem alten Kontinent bewusst zu werden, wie abhängig er von den Energieimporten aus dem Osten war - und wie erpressbar.
Das soll so nicht mehr passieren, hat man sich geschworen. Denn nicht nur bei den fossilen Energieträgern ist die EU auf Importe aus Drittstaaten angewiesen. Das gilt auch für Rohstoffe, denen - im Gegensatz zu Öl und Gas - die Zukunft gehört. Die Rede ist von all den Metallen, die mit Blick auf die zwei großen Herausforderungen der Zukunft unverzichtbar sind, nämlich die Digitalisierung und die Energiewende.
Seltene Erden und Halbmetalle
Beispiel: Die sogenannten Seltenen Erden. Gemeint ist eine Gruppe von insgesamt 17 Metallen, die heutzutage in den meisten Hightech-Produkten verbaut sind und die vor allem für Windkraftwerke unerlässlich sind. Bei diesen Seltenen Erden ist die EU im Moment zu 100 Prozent abhängig von China.
Nicht viel besser sieht es aus bei Halbmetallen wie Silizium oder Germanium, die für die Produktion von Mikrochips oder auch von Solartechnik unbedingt nötig sind. Nicht zu vergessen: Lithium. Das Leichtmetall ist wohl der Rohstoff der Zukunft, vor allem mit Blick auf den Umstieg auf die Elektromobilität. Denn Lithium steckt in jedem modernen Energiespeicher, also Batterien und Akkus. Man geht davon aus, dass die Nachfrage nach Lithium bis 2050 um den Faktor 57 ansteigen wird.
Das alles nur, um zu sagen: Die aktuelle Krise ist nichts im Vergleich zu dem, was Europa noch blühen könnte, wenn es den Zugang zu den "Rohstoffen der Zukunft" verliert. Auch hier hat man eigentlich viel zu lange geschlafen.
Deswegen bereitet die EU-Kommission schon seit Monaten einen neuen Masterplan vor, der auf den Namen "Raw Material Act" hört, was man übersetzen könnte mit "Seltene Rohstoffe Gesetz". Hier geht es um die Position Europas in einem neuen geopolitischen Kontext, wiederholt EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton seit Monaten bei jeder Gelegenheit. Und letztlich geht es hier um die strategische Unabhängigkeit der EU.
Ein Entwurf dieses "Raw Material Act" soll in dieser Woche vorgestellt werden. Die groben Linien hat der französische EU-Kommissar auch schon mehrmals skizziert. Er sieht drei Säulen: Erstens die Suche nach verlässlichen Lieferländern und auch die Diversifizierung der Lieferketten. Zweitens eine Kreislaufwirtschaft, sprich: Recycling und Wiederverwertung von seltenen Rohstoffen. Und drittens die Schaffung neuer eigener Kapazitäten.
Bergbau in der EU
Es ist vor allem dieser dritte Punkt, der schon jetzt für ein gewisses Unbehagen sorgt. Es ist so: Einige Einzelheiten des Entwurfs sind schon durchgesickert und Breton hat in Interviews mit der Zeitung De Standaard und der Nachrichtenplattform "Politico" auch schon Einblicke gegeben. Und demnach will die EU-Kommission die Mitgliedsländer eben dazu anspornen, auch wieder selbst seltene Rohstoffe abzubauen.
Bis 2030 sollen zehn Prozent des Bedarfs aus eigenem Bergbau gedeckt werden. Dafür sollen auch die Genehmigungsverfahren stark beschleunigt werden. Und im Zweifel könnten strategische Projekte auch dann zugelassen werden, wenn sie negative Auswirkungen auf die Umwelt haben, nämlich dann, wenn das Allgemeinwohl in der Bilanz schwerer wiegt als die Folgen, zitiert De Standaard aus dem Entwurf.
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat die Problematik im Übrigen auch gerade bei ihrem Besuch in Washington mit US-Präsident Joe Biden besprochen. Sie träumt von einer Allianz des Westens für strategische Rohstoffe.
Die EU-Kommission arbeitet jedenfalls mit Hochdruck daran, dass die EU insgesamt unabhängiger wird. Ähnliche Bestrebungen gibt es etwa auch in Bereichen wie Solartechnik oder Mikrochips. Der Ukraine-Krieg mit all seinen Folgen scheint da offensichtlich - zumindest aus geostrategischer Sicht - ein heilsamer Schock gewesen zu sein.
Roger Pint
Ob dieses jetzt der Startschuss für die Bergbautätigkeit in der Gegend Plombieres-Kelmis-Raeren ist ??