"Lieber Wolodymyr, hiermit überreiche ich Dir den Fragebogen." EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen drückt dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj einen unscheinbaren Umschlag in die Hand. Darin befindet sich tatsächlich ein Fragebogen, den jedes Land ausfüllen muss, das der EU beitreten will. Und auf der Grundlage der Antworten wird dann entschieden, ob die Kandidatur überhaupt in Erwägung gezogen werden kann.
"Dieser Fragebogen ist die Grundlage für unsere künftigen Diskussionen", sagt von der Leyen. "Wir haben die Bitte der Ukraine um einen EU-Beitritt gehört. Und in diesem Umschlag befindet sich der erste Schritt in diese Richtung."
"Und, versprochen: Wir stehen Tag und Nacht zur Verfügung, um beim Ausfüllen dieses Fragebogens zu helfen", sagt die EU-Kommissionsvorsitzende. Damit das Ganze nicht, wie sonst üblich, eine Sache von Jahren werde, sondern eine Sache von Wochen. "Hier beginnt Ihr Weg in die Europäische Union", wendet sich Ursula von der Leyen an Wolodymyr Selenskyj. In einer Woche haben sie die Antworten, verspricht seinerseits vollmundig der ukrainische Präsident.
Erste Bestandsaufnahme
Nun ist es aber nicht so, als bestehe dieser Fragebogen nur aus Wissensfragen oder Allgemeinplätzen. Vielmehr geht es in diesem Dokument um die Essenz der Europäischen Union: Bevor man über konkrete Inhalte redet, muss zunächst die Frage geklärt werden, ob überhaupt die Grundvoraussetzungen für eine EU-Mitgliedschaft erfüllt sind.
Erstes Kriterium: Ist das Land eine stabile Demokratie und teilt es die europäischen Grundwerte? Also, sind z.B. die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Minderheitenrechte gewährleistet? Dann geht es aber auch um Fragen, die das Funktionieren des Staates betreffen. Und beim Thema Korruption lauern da schon die ersten ernsten Probleme. Auf dem weltweiten Korruptionsindex steht die Ukraine lediglich auf Platz 122 von 180 Ländern.
Also: Dieser Fragebogen stellt allenfalls eine erste Bestandsaufnahme dar. Auf dieser Grundlage wird dann festgelegt, wo gegebenenfalls Nachbesserungen nötig sind. Das allein kann schon Jahre dauern.
Symbolische Geste
"Erstmal muss man überhaupt zum potentiellen Beitrittskandidaten werden, dann zum offiziellen Beitrittskandidaten, und erst dann können die konkreten Verhandlungen beginnen", so fasst es Professor Hendrik Vos von der Uni Gent in der Zeitung Het Nieuwsblad zusammen. Und erst dann geht's also wirklich ans Eingemachte, nämlich den sogenannten "acquis communautaire", was man im Deutschen häufig umständlich als den "Besitzstand der EU" bezeichnet.
Konkret sind das alle Gesetze und Regeln, die für die Mitgliedstaaten der EU verbindlich sind, die also in diesen Ländern umgesetzt sein müssen. "Das sind locker 100.000 Seiten an EU-Gesetzen, die also erstmal alle in nationales Recht übertragen werden müssen", zitiert Het Nieuwsblad den EU-Experten Hendrik Vos. Der bringt es mit einer einfachen Formel auf den Punkt: "Die EU ist kein Kegelclub, dem man mal eben so beitreten kann".
Mal ganz davon abgesehen, dass sich die Ukraine eben im Krieg befindet. "Die EU wird wohl kaum einen Krieg importieren wollen", sagt Vos; zumal es ja auch innerhalb der EU eine Beistandsklausel gibt, die alle EU-Staaten dann quasi automatisch in den Krieg hineinziehen würde.
Ein EU-Beitritt der Ukraine sei frühestens für 2030 ins Auge zu fassen; allerfrühestens. Das Ganze sei wohl eher symbolisch gemeint, glaubt der Experte. Wenn die Ukraine schonmal den Status eines offiziellen Beitrittskandidaten bekommt, dann wäre das ein erstes, klares Signal.
Und im Grunde sagte Ursula von der Leyen am Freitag auch schon nichts Anderes: "Ihr Kampf ist auch unser Kampf", betonte die EU-Kommissionspräsidentin. Und sie sei gekommen, um deutlich zu machen, dass Europa an der Seite der Ukraine steht. Das sei ihre Botschaft an die Menschen in der Ukraine.
Roger Pint
Das liegt wahrscheinlich daran, dass wir zu verstehen bekommen haben, dass der Krieg noch lange dauernd wird.
Die Menschen die in der Ukraine dann noch wohnen werden und die Zutrittsbereitschaft wird dann halbiert sein.
Kein Gas mehr von Russland.
Herr Mandel, auch diese Menschen werden gar nicht erst gefragt, ob sie der so genannten "EU" beitreten wollen. Man wird Ihnen und uns das Blaue vom Himmel erzählen und in Wahrheit nur auf billige Arbeitskräfte sowie lohnende Absatzmärkte (Wiederaufbau!) schielen und sich kindlich freuen, dem "Russen" eins ausgewischt zu haben. Weiter reicht der Horizont nicht.
Kapitalistischer Imperialismus im 21. Jahrhundert.
Ukraine in die EU?
und wovon träumen die nachts?
Die EU hat sich schon vor Jahren mit Rumänien und Bulgarien übernommen, und was sollen wir dann mit einem kaputten Entwicklungsland wie der Ukraine?
Ca. 1/3 der Exporte der Ukraine waren landwirtschaftliche Produkte OHNE Subventionen. Soll dann nach einem EU-Beitritt alles subventioniert werden, was vorher ohne ging?
Von der Leyen erklärte gestern noch zusätzlich "Wenn dieser Krieg gewonnen ist, dann werden wir die Ukraine wieder gemeinsam aufbauen müssen."
In einem seit Jahrzehnten sich gegenseitig steigernden Nationalismus schiessen sich die Ostslawen gegenseitig kaputt, und "wir" sollen dann mitbezahlen, wenn's vorbei ist??? Wie wäre es mit einem Marshall-Plan ,also ein Kredit, und die zahlen den langfristig zurück.
Haben "wir" etwa auch den Aufbau des Balkans nach dem jugoslawischen Bürgerkrieg massiv mitbezahlt?
Die Unterstützung für die Flüchtlinge und kommende Waffenlieferungen sind genug.
Oder will die Politik uns unbedingt noch mehr dahin hineinziehen?
Was ist mit der Krim und den Oblasten Donezk und Luhansk?
Werden diese auch in einem Zustand der Annexion durch Russland Teil der EU?
- „Wohl kaum“, würde ich annehmen.
Hieße das, die EU erkenne die Annexion an? – „Wohl kaum“, müsste man auch hier annehmen.
Welchen Sinn hat es also, der Ukraine irgendwelche unerfüllbaren Hoffnungen zu machen?
So etwas gab es doch schon einmal, als es um einen NATO-Beitritt des Landes ging. Als es ernst wurde, gab es ein Veto von Deutschland und Frankreich, weil jene Länder (nicht ganz zu Unrecht) im Fall einer Aufnahme einen sofortigen Krieg mit Russland befürchteten.
In der Republik Moldau ist die Situation mit Transnistrien übrigens ganz ähnlich.
Ein Kegelclub verfügt allerdings über einen demokratisch gewählten Vorsitzenden.