Polens Ministerpräsident Morawiecki war persönlich nach Straßburg gekommen und verteidigte dort nachdrücklich die Entscheidung des Gerichts. Die EU-Kommissionspräsidentin drohte unter anderem mit der Blockade milliardenschwerer Corona-Hilfen für Polen.
Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki war offensichtlich nicht nach Straßburg gekommen, um das Büßergewand überzustreifen. Ziemlich schnell machte er klar, dass er zu 110 Prozent hinter dem Urteil des heimischen Verfassungsgerichtshofes steht.
"Lassen Sie es mich nochmal wiederholen", sagte Morawiecki: "Das höchste Gesetz in der Republik Polen ist die polnische Verfassung. Sie steht über allen anderen Rechtsquellen. Und dieses Prinzip wird durch die polnische Regierung und das polnische Parlament verteidigt."
Damit ist im Grunde schon alles gesagt. Denn genau darum geht es. Der polnische Verfassungsgerichtshof hatte Anfang des Monats entschieden, dass Teile des EU-Rechts nicht mit der polnischen Verfassung zu vereinbaren seien. Aus Sicht der EU ist das ein fast beispielloser Tabubruch. Denn damit rüttelt Polen an den Grundfesten der Union.
Grob gesagt: Die Europäische Union kann nicht funktionieren, wenn nicht überall dasselbe Recht gilt. Genau das hatte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zuvor auch noch einmal unterstrichen: Wenn europäisches Recht anders angewandt wird, je nachdem, ob man nun in Grenoble, in Göttingen oder in Gdansk ist, können EU-Bürger nicht mehr überall in den Genuss derselben Rechte kommen.
Denn das ist "der Deal", möchte man sagen, sozusagen das Wesen der EU: ein gemeinsamer Rechtsraum, der überall in der EU gleiches Recht, Rechtssicherheit und gegenseitiges Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten garantiert. Und das sei die Grundlage für eine gemeinsame Politik, sagte von der Leyen.
Mateusz Morawiecki sieht darin nach eigenen Worten die Grundzüge eines "nationalitätenlosen Superstaats". "Heute ist es so weit gekommen, dass wir 'Stopp' sagen müssen", sagte er vor den EU-Abgeordneten. "Die Kompetenzen der EU haben ihre Grenzen, wir können nicht länger schweigen, wenn sie überschritten werden."
Davon abgesehen stelle das Verfassungsgericht ja auch nicht die EU-Gesetzgebung in ihrer Gesamtheit infrage, sagt Morawiecki. "Nein, nein, natürlich nicht!", wetterte sarkastisch der belgische Altpremier Guy Verhofstadt für die liberale Fraktion.
Polen stelle nur zwei Artikel infrage, davon einen - nämlich Artikel 19 -, der dem EU-Gerichtshof Vorrang einräumt. Und warum? Weil dieser Europäische Gerichtshof stört, weil er es ist, der letztlich entscheiden wird, ob das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit in Polen eingehalten wird oder nicht.
Das mache das böse Spiel denn auch so durchsichtig, sagte Verhofstadt: "Man lässt einen politisch besetzten polnischen Verfassungsgerichtshof einfach urteilen, dass der EuGH in Polen nicht mehr zuständig ist. Problem gelöst."
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will es jedenfalls nicht dabei belassen. Wenn Polen bei seiner Haltung bleibe, dann gebe es Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit in Polen, also an der Unabhängigkeit der Gerichte. Und dann müsse das Land der EU auch erklären, wie es gewährleisten will, dass die EU-Mittel auch regelkonform ausgegeben werden.
Die Kommissionspräsidentin drohte denn auch mit neuen Verfahren gegen Warschau, die in letzter Instanz zur Kürzung der EU-Gelder führen können. Mateusz Morawiecki reagierte postwendend: "Er sei nicht damit einverstanden, dass Politiker Polen erpressen wollen und Polen drohen. Dies sei kein demokratisches Vorgehen."
Polen treibt es also auf die Spitze. Da half auch nicht, dass Ursula von der Leyen ihre Rede beendete mit ein paar Worten auf Polnisch: "Es lebe Polen, es lebe Europa."
Roger Pint
Applaus!!!!
Und herzlichen Glückwunsch für Polen.
Ein Minister mit Rückrad, der sich für die polnischen Interessen einsetzt.
Zeiten in denen sich Polen vom Westen hat stiefmütterlich behandeln lassen müssen scheinen vorbei zu sein.
Viel Erfolg!
Naja, wie weit der polnische Premierminister mit seinem "Rückrad" fahren wird, das sei mal dahingestellt...
Europäische Gesetze sind eben keine Wunschveranstaltung, bei der man sich diejenigen herauspicken kann, die gerade in den Kram passen.
Ein seltsames Verständnis von Demokratie herrscht da in Polen, wenn man plötzlich Gesetze nicht mehr einhalten will, an deren Verabschiedung man via EU-Parlament selbst beteiligt war...
Spätestens die Briten haben uns Alle gelehrt, die EU-Mitgliegschaft ist weder unumkehrbare Pflicht noch ein unumkehrbares Recht. Die Mitgliedschaft in der EU ist jedoch, für jeden einzelnen Mitgliedsstaat, an ein rechtspolitisches wie auch moralisches Grundwertekonzept geknüpft. Diese Werte sind sicherlich nicht unveränderbar in Stein gemeißelt. Ihre Änderung/Anpassung kann aber nur in einem demokratischen Mehrheitsprozeß erfolgen.
Die derzeitigen Regierungen sowohl in Polen wie auch in Ungarn stehen jedoch zunehmend offen auf dem Standpunkt ihre Bindung an, geschlossene und in ihren Inhalten klar bekannte, Verträge offen zu negieren. Wenn also ein Mitgliedsland oder auch mehrere tatsächlich innenpolitisch derartige Schwierigkeiten damit hat nach einem Grundwertekodex zu handeln der, für die überwiegende Mehrheit der EU-Mitgliedsländer gemeisamer Kontext ist, sollte, ja muß man, sich trennen.
Die EU-Mitgliedschaft ist keine Pflicht, sie ist ein Angebot. Das Angebot unterliegt, wie alles im Leben, Regelungen.
Wer Regelungen nicht einhalten will, wird sanktioniert.
Brexit funktioniert auch umgekehrt, es braucht nur den Willen.
Mal ganz einfach: habe ich mch für einen Verein entschieden, habe ich mich auch auch die Richtlinien zu halten....
Das polnische Verfassungsgericht ist doch kein Gericht im üblichen Sinne, sondern eher ein Regierungsorgan seit der umstritten Justizreform. Also besteht kein Grund, das Urteil anzuerkennen oder ernst zu nehmen. Anstatt sich groß aufzuregen, sollte die EU das Urteil ignorieren und zur Tagesordnung übergehen.
Dieses juristische Affentheater ändert nichts an der Tatsache, dass die Mehrheit der Polen pro-europäisch eingestellt ist. Das ist das wichtigste.
Herr Chemnitz, ich möchte Ihren Kommentar aufgreifen um ein elementares Defizit der so genannten EU klarzustellen: die Volksherrschaft, die Demokratie, die Legitimierung.
Es hat sich nämlich genau niemand für den Verein entscheiden dürfen oder können. Das Volk wurde nicht gefragt, es gab keine Abstimmung, keine oder nur eine mangelhafte Legitimierung von Millionen Europäern zu der Frage, ob ihr Nationalstaat diesem Verein beitritt oder nicht. Hier waren nur Interessen der Wirtschaft oder des Kapitals vertreten; das gemeine Volk, der eigentliche Souverän in demokratischen Staaten, wurde nicht gefragt sondern mit Krümeln vom feudalen Tisch der neuen Herrscher abgespeist. Gehirnwäsche statt Demokratie!
Da mangelt es daran und da wird es weiter daran mangeln bis zum endgültigen Zusammenbruch der so genannten EU. Erst dann wird es möglich sein die Brüsseler von-Gottes-Gnaden-Herrschaft durch einen demokratischen europäischen Staates zu ersetzen. Und wer es mit Europa ernst meint sollte auf diesen Tag vorbereitet sein.
Werter Herr Schallenberg, ich muss Ihnen widersprechen: Die Polen wurden 2003 sehr wohl im Rahmen eines Referendums über den Beitritt zur EU befragt. Über 77 % der Abstimmenden stimmten dafür. Die Legitimierung war also durchaus gegeben. Die Bevölkerung hätte auch nein sagen können (siehe Norwegen).
Bloß - um Herrn Chemnitz’ Beispiel aufzugreifen - wenn ich einem Fußballverein beitrete, kann ich nach 17 Jahren nicht sagen, dass meine Mannschaft mit 14 Spielern antritt und ich mit Schiedsrichterentscheidungen nichts am Hut habe!
Sehr geehrter Herr Schallenberg,
Ihre Aussage, das Volk sei nicht gefragt worden, ist falsch. Am 7. und 8. Juni 2003 stimmten 77,45% aller wahlberechtigen Polen in einem offiziell anerkannten landesweiten Referendum für den Beitritt zur Europäischen Union.
Sie beschreiben die EU als "neue Herrscher" und "Brüsseler von Gottes-Gnaden-Herrschaft". Vergessen wir nicht, dass sich in Polen über 100 Gemeinden und Landkreise zu sogenannten LGBT-freien Zonen erklärt haben. Gedanken an die dunkelsten Kapitel der Geschichte werden wach. Viele Menschen in Polen haben ihre Stimme für das PiS-Regime zudem nicht aufgrund seiner anti-europäischen Haltung, sondern aufgrund der Einführung eines sehr generösen Kindergeldes gegeben.
Ich hoffe daher, dass die europäischen "Herrscher" weiterhin klare Kante zeigen und sich nicht dem Druck der autoritär und die Demokratie mit Füßen tretenden Mitgliedstaaten beugen.
Ja, Herr Tychon, Herr Kohlisch, das ist völlig korrekt, was Sie dort anführen. Das Referendum in Polen mit dem von Ihnen genannten, ziemlich eindeutigen Ergebnis hat es so gegeben, ein Fakt.
In Polen- aber sonst kann ich mich nicht erinnern, das die, die es angeht und letztlich bezahlen, vergleichbar verbindlich in diesen Prozess mit einbezogen wurden. Das reicht nicht nach meinem Verständnis von Volksherrschaft! Nicht für einen solchen Prozess, bei dem am Ende ein europäischer Zentralstaat entstehen soll.
Auch für einen Schiedsrichter gelten Regeln, Qualifikationen den daraus begründet sich erst die Legitimierung, die Spielregeln überwachen zu können. Genau das kann ich bei der sich selbst legitimierenden so genannten EU nicht feststellen. Insbesondere die so genannten EU- Kommissionen vergleiche ich gerne mit dem Wohlfahrtsausschuss der französischen Revolution. Ohne Guillotine, zugegeben.
Meine Herren, die "EU" steht einem demokratischen (= Volksherrschaft) europäischen Staat im Wege und entwickelt sich in die falsche Richtung.
Herr Schallenberg, ich befürchte, dass Sie den Unterschied zwischen Volksherrschaft und Anarchie nicht kennen. Wir haben es in der Europäischen Union mit einem System der indirekten Demokratie zu tun, bei dem direkt gewählte EU-Abgeordnete sowie die Vertreter der Nationalstaaten im Rat die Rechtsvorschriften ausarbeiten, über deren Einhaltung die Europäische Kommission und ggfs. der Europäische Gerichtshof wachen.
Wenn Sie das ändern wollen, dann beteiligen Sie sich doch einfach als Bürger an der Konferenz über die Zukunft Europas, statt zu mäkeln nach der Devise « mich fragt ja keiner ».
"Insbesondere die so genannten EU- Kommissionen vergleiche ich gerne mit dem Wohlfahrtsausschuss der französischen Revolution. Ohne Guillotine, zugegeben."
Wer so etwas schreibt, hat weder vom damaligen Wohlfahrtsausschuss noch von den komplexen EU-Institutionen eine Ahnung.
Nur dieses Zitat:
"Vor allem unter dem Einfluss Robespierres wurde der Wohlfahrtsausschuss, ausgestattet mit diktatorischen Vollmachten, zum Organ der jakobinischen Schreckensherrschaft.
Im September 1793 erließ der Ausschuss ein „Gesetz über die Verdächtigen“, um die Feinde der Republik bekämpfen zu können.
Es entstanden Revolutionstribunale, die Beschuldigte verurteilten, ohne dass ein Widerspruch gegen das Urteil geleistet werden konnte. Es kam immer häufiger zu Anschuldigungen und Verdächtigungen. Keiner traute dem anderen mehr.
In dieser Zeit wurden ca. 500.000 Menschen verhaftet und 40.000 von ihnen wurden verurteilt und hingerichtet." (Wikipedia)
"Ohne Guillotine, zugegeben."