Die mehr als 6.500 Gastarbeiter, die seit 2010 in Katar gestorben sind, stammen vor allem aus fünf asiatischen Ländern: aus Indien, Pakistan, Nepal, Bangladesch und Sri Lanka. The Guardian beruft sich auf offizielle Regierungsquellen dieser Länder. Nach Angaben der Zeitung ist die Todesrate aller Wahrscheinlichkeit nach sogar höher, da nicht alle Länder, die eine große Anzahl von Arbeitern nach Katar schicken, wie die Philippinen und Kenia, befragt wurden.
Hinzu kommt, dass Todesfälle, die sich in den letzten Monaten des Jahres 2020 ereignet haben, ebenfalls nicht berücksichtigt worden sind. Das WM-Organisationskomitee hat in seinen regelmäßigen eigenen Berichten seit 2015 den Tod von mehr als 30 Arbeitern gemeldet. Da gibt es aber eine gewaltige Diskrepanz in den Zahlen. Daten darüber, wo die Todesfälle aufgetreten sind, sind tatsächlich nicht verfügbar. Es ist schwierig, genau zu bestimmen, ob die Wanderarbeiter bei einem Stadionbau oder einem Infrastrukturprojekt, das irgendwie mit der Fifa-WM in Verbindung steht, gestorben sind.
Nach Angaben eines Sprechers der katarischen Regierung leben mehr als 1,4 Millionen Menschen aus den fünf genannten Ländern in dem Emirat. Millionen weitere haben in den letzten zehn Jahren in Katar gelebt und sind in ihr Heimatland zurückgekehrt. Die von The Guardian berichtete Zahl der Todesfälle wird nicht bestritten, aber angesichts der großen Zahl von Einwanderern wird der "kleine Prozentsatz von Verstorbenen" nicht als abnormal angesehen.
Häufigste Todesursache
Die genaue Todesursache wird meist nicht festgestellt, auch weil es keine Autopsie gibt. Ein natürlicher Tod, zum Beispiel durch Herzversagen, ist dann das Urteil. Mindestens vier Monate im Jahr ist es eigentlich viel zu heiß, um draußen zu arbeiten. Zu den Todesursachen gehören Überhitzung, ein tödlicher Sturz und Selbstmord.
Gewerkschaften und Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International kämpfen seit Jahren für bessere Arbeitsbedingungen. Migranten aus armen Ländern kommen nach Katar, um unter unmenschlichen Bedingungen zu arbeiten. Das sogenannte Kafala-System, bei dem Arbeiter ihre Pässe abgeben und an die Launen ihrer Arbeitgeber gebunden sind, wurde zwar offiziell in Katar abgeschafft, aber in der Praxis gibt es immer noch viele Missstände.
Katar hat bereits viel Kritik wegen der Ausbeutung von Gastarbeitern hinnehmen müssen. Die Regierung sagt, sie habe in den letzten Jahren große Anstrengungen unternommen, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Auch Menschenrechtsorganisationen räumen laut The Guardian ein, dass Schritte in die richtige Richtung unternommen worden sind, die Reformen aber nicht ausreichend in die Praxis umgesetzt werden.
Immer wieder kommt es auch deshalb zu einzelnen Boykott-Aufrufen der Fußball-Weltmeisterschaft. Aber bislang hat noch keine dieser Kampagnen einen richtigen Zulauf bekommen. Haarsträubend ist für viele, dass es in Katar keine echte Fußballkultur gibt und ein Teil der neuen Stadien nach der WM wieder komplett oder teilweise zerlegt werden, um sie später in anderen Ländern wieder aufbauen zu lassen. Ob das reicht, die vielen Kritiker des Wüstenspektakels für das Fifa-Projekt zu begeistern, ist aber eher unwahrscheinlich.
Die Weltmeisterschaft in Katar findet vom 21. November bis 18. Dezember 2022 statt.
demorgen/volkskrant/mz