Seinen Eid als Premierminister hatte Alexander De Croo immerhin schon abgelegt. Und auch die Regierungserklärung hat er vor der Kammer verlesen. Für die Vertrauensabstimmung, dafür hat es dann aber nicht mehr gereicht vor seinem ersten EU-Gipfel. Die steht nämlich erst am Samstag auf dem Terminplan. Am Donnerstag haben die europäischen Staats- und Regierungschefs also die Gelegenheit bekommen, ihren neuen belgischen Kollegen kennenzulernen. Und der musste sich vielleicht auch erst noch ein bisschen in seine Rolle eingewöhnen.
Nachdem das Sprachliche geklärt war, erklärte Alexander De Croo, dass es ihn freue, seine neuen Kollegen zu treffe und auch, dass er verkünden könne, dass Belgien jetzt endlich eine neue Regierung habe.
Diese neue belgische Regierung, die ist ausdrücklich pro-europäisch, das hatte De Croo auch bereits im Vorfeld betont. Jetzt ist es natürlich nicht so, dass Belgien, gerade als Gründungsmitglied und Wegbereiter der Europäischen Union jemals anti-europäisch gewesen wäre. Aber die Regierungsbeteiligung der flämischen Nationalisten N-VA unter Premier Charles Michel hatte sich in gewissen Punkten der europäischen Politik durchaus bemerkbar gemacht.
Und Charles Michel, seines Zeichens mittlerweile zum EU-Ratspräsidenten aufgestiegen, hatte schon bei den Einladungen zum Gipfel deutlich gemacht, worum es diesmal unter anderem geht: Es solle über "Europas Platz in der Welt" gesprochen werden. Und über die "Fähigkeit, unser eigenes Schicksal zu bestimmen".
Oder anders gesagt: Wie positioniert sich Europa auf der Weltbühne, und wie kann man es schaffen, dass die geeinte Stimme der 27 Mitgliedsstaaten mehr Gewicht bekommt. Gerade auch angesichts des Großmächtestreits zwischen den USA und China, in dem Europa schon öfter unter die Räder zu kommen drohte.
Neben diesen beiden Schwergewichten gibt es aber auch in der viel unmittelbareren Nachbarschaft Probleme, die Europa betreffen. Neben dem Brexit, der aufgrund der neuesten Kapriolen von Boris Johnson einmal mehr zu einem sehr hässlichen Scheidungskrieg zu werden droht, richten sich die Blicke auch insbesondere auf das östliche Mittelmeer. Genauer gesagt auf die Türkei und ihre Gasbohr-Aktivitäten, die zu heftigen Auseinandersetzungen mit Zypern und auch Griechenland geführt haben.
Diese Streitigkeiten haben wiederum dazu geführt, dass Zypern als einziger EU-Staat bislang Sanktionen gegen das Regime von Alexander Lukaschenko blockiert hat. Nicht etwa, weil Zypern besondere Sympathien für den langjährigen Machthaber in Belarus hätte, dem ja Wahlbetrug und die Unterdrückung der Opposition vorgeworfen werden. Nein, Zypern wollte vielmehr durch sein Veto erzwingen, dass die EU entschiedener gegen die Türkei vorgeht.
Auch die neuen Kämpfe in Berg-Karabach zwischen Armenien und Aserbaidschan waren Thema, ebenso wie die Vergiftung des russischen Regimekritikers Alexei Nawalny. All diese außenpolitischen Punkte standen bei den Diskussionen am Donnerstag, die bis nach Mitternacht andauerten, auf der Tagesordnung des ersten Gipfeltages.
Hier hat es Fortschritte gegeben, wie der EU-Ratsvorsitzende Charles Michel und die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei ihrer anschließenden nächtlichen Pressekonferenz erklärten.
Durch die Einigung sei der Weg frei für eine zweigleisige Strategie gegenüber der Türkei, sagte Michel. Einerseits wolle man einen politischen Dialog in Gang bringen, um den Weg zu mehr Stabilität und weniger Unwägbarkeiten zu ebnen. Andererseits wolle Europa aber auch nicht klein beigeben, was seine Werte und Prinzipien angehe.
Von der Leyen fügte hinzu, dass man einen konstruktiven Dialog mit der Türkei wolle. Das sei aber nur möglich, wenn die Türkei aufhöre, querzuschießen. So habe es aus Ankara beispielsweise noch keine Signale der Deeskalation gegenüber Zypern gegeben, auch wenn zumindest der Dialog mit Griechenland initiiert worden sei. Die Kommissionspräsidentin warnte Erdogan auch eindringlich vor weiterem unilateralen Vorgehen, das gegen internationales Recht verstoßen würde.
Mit dieser Einigung war dann auch Zypern soweit zufriedengestellt, dass es seinen Widerstand gegen die Belarus-Sanktionen aufgab. Man habe entschieden, die beschlossenen Sanktionen zu implementieren, so Michel. Das sei sehr wichtig. Denn so sende die EU ein klares Signal, dass sie glaubwürdig sei, dass man die vor einigen Wochen vereinbarten Sanktionen auch tatsächlich verhänge.
Was den Bergkarabach-Konflikt angehe, so müssten die bewaffneten Auseinandersetzungen sofort eingestellt und eine Verhandlungslösung gefunden werden. Im Fall Nawalny verurteile man den Einsatz einer chemischen Kriegswaffe und fordere Transparenz.
Am zweiten Gipfeltag stehen dann der Binnenmarkt, der digitale Wandel und Industriepolitik auf der Agenda.
Boris Schmidt