Ein selbstbewussteres und vielleicht auch abgebrühteres Europa - das ist die Vision der liberalen Spitzenkandidatin Margrethe Vestager. Selbstbewusst und abgebrüht - das trifft auch auf die Dänin selbst zu. Die 51-Jährige ist Wettbewerbskommissarin der aktuellen EU-Kommission. Auf diesem Posten hat sie sich einen Namen als kompromisslose Kämpferin für faire Wettbewerbsbedingungen gemacht.
Zu spüren bekommen haben das vor allem internationale Großkonzerne wie Amazon und Google. Wegen mehrerer Millionenstrafen gegen US-Firmen kennt sogar Donald Trump die Dänin: Die "Tax-Lady" der EU hat der US-Präsident sie getauft - Europas Frau für Steuern.
Auch die gescheiterte Fusion der Zugsparten von Siemens und Alstom geht auf eine Entscheidung der Wettbewerbskommissarin zurück. Frankreich und Deutschland wollten auf diesem Weg einen Riesenkonzern schaffen, um der staatlich geförderten Konkurrenz aus China zu begegnen.
Für Vestager ist das der falsche Ansatz. Für sie geht Wettbewerb nur mit Fairness. "Wenn wir unseren Markt öffnen, dann müssen wir auch Zugang zu anderen Märkten haben. Und wenn wir für fairen Wettbewerb bei uns sorgen, dann müssen wir auch für unsere Unternehmen einstehen, wenn sie im Ausland unfair behandelt werden."
Vestager gefällt sich in ihrer aktuellen Rolle. Und tatsächlich wäre sie gerne Wettbewerbskommissarin geblieben. Ihre sozialliberale Partei hat in der Heimat aber kaum Einfluss, und der dänische Regierungschef hat es abgelehnt, sie erneut als EU-Kommissarin vorzuschlagen. Dann werde ich halt Chefin des ganzen Ladens, muss sich Margrethe Vestager da gedacht haben.
Die Liberalen sind im EU-Parlament aktuell drittstärkste Kraft. Prognosen zufolge wird das voraussichtlich so bleiben. Am Ende könnte Vestager aber die Kandidatin der Mitte sein, mit der einfach alle gut leben können.
Peter Eßer