Das britische Kabinett sucht an diesem Dienstag in einer Marathon-Sitzung nach einem Ausweg aus dem Brexit-Chaos. Zuvor war es dem Parlament in London auch im zweiten Anlauf nicht gelungen, sich auf eine Alternative zum Austrittsabkommen von Premierministerin Theresa May zu einigen. Das Unterhaus lehnte am Montagabend alle vier zur Abstimmung stehenden Vorschläge ab. Das Risiko eines chaotischen Ausstiegs aus der Europäischen Union am 12. April ist damit gestiegen. Dies würde die Wirtschaft und viele andere Lebensbereiche treffen.
Möglicherweise spielt das Brexit-Debakel aber auch May in die Hände - und die Abgeordneten entscheiden sich letztlich doch für ihren Deal als kleineres Übel. Brexit-Minister Stephen Barclay brachte noch am Abend eine vierte Abstimmung über Mays Abkommen ins Spiel. Es sei möglich, noch in dieser Woche einen Deal zu erreichen.
Um aus der Sackgasse herauszukommen, hat May für Dienstag eine mehr als fünfstündige Sitzung ihres Kabinetts einberufen - in unterschiedlicher Besetzung. Normalerweise dauert eine Sitzung des Kabinetts etwa 90 Minuten. Medienberichten zufolge machen einige Minister Stimmung für einen No-Deal-Brexit, andere fordern, eine engere Anbindung an die EU zur Regierungslinie zu machen. Der Vorschlag, in der europäischen Zollunion zu bleiben, kam am Montag bei der Abstimmung einer Mehrheit noch am nächsten, allerdings gegen den Widerstand eines großen Teils der konservativen Regierungspartei.
Einigt sich das Parlament weder auf Mays Deal noch auf eine Alternative, droht ein Austritt ohne Abkommen. Möglich wäre aber auch eine erneute Verschiebung des Brexits. Doch dies wäre mit einer Teilnahme der Briten an der Europawahl Ende Mai verbunden - das will London unbedingt vermeiden. Zudem dürfte Brüssel eine triftige Begründung für einen neuerlichen Aufschub verlangen. Immer mehr wird daher auch über eine Neuwahl spekuliert.
EU-Politiker reagierten entsetzt auf die erneute Ablehnung aller Optionen in London. Ein Brexit ohne Abkommen werde nun fast unausweichlich, twitterte der Brexit-Beauftragte des Europaparlaments, Guy Verhofstadt. "Am Mittwoch hat Großbritannien die letzte Chance, die Blockade zu durchbrechen oder in den Abgrund zu blicken." Der SPD-Europapolitiker Jens Geier sprach von einer "inzwischen lächerlichen Selbstblockade im britischen Parlament" und forderte: "Einer Verlängerung der EU-Mitgliedschaft über den 12. April hinaus kann die Europäische Union nur mit der gleichzeitigen Ansage eines zweiten Referendums stattgeben."
Zur Abstimmung im Unterhaus standen am Montag vier Alternativen zum Brexit-Deal: zwei Optionen für eine engere Anbindung an die Europäische Union, der Vorschlag für ein zweites Referendum sowie der Plan, den Brexit notfalls abzusagen, um einen Austritt ohne Abkommen zu verhindern. Die Idee einer Zollunion mit der EU kam einer Mehrheit bei der Abstimmung am nächsten. Dafür stimmten 273 Abgeordnete, 276 votierten dagegen. Um sich mit Sicherheit mit einer Alternative durchsetzen zu können, wären im Unterhaus mindestens 318 Stimmen notwendig.
dpa/jp/sh