Nach dem klaren Nein des britischen Parlaments zum Brexit-Abkommen wird die Gefahr eines chaotischen Austritts Großbritanniens aus der EU immer größer.
Der Chef der oppositionellen Labour-Partei, Jeremy Corbyn, stellte einen Misstrauensantrag gegen die Regierung. Damit wird sich das Parlament am Mittwoch befassen. Mit einer Abstimmung wird heute Abend um 20 Uhr gerechnet. Beobachter rechnen nicht damit, dass der Antrag Erfolg haben wird, da die nordirische Partei DUP May ihre Unterstützung zugesagt hat.
May will am Mittwoch Gespräche mit Abgeordneten aller Parteien führen. Spätestens am kommenden Montag will sie einen Plan B vorlegen.
Belgiens Politik und Wirtschaft warnen vor Chaos
Belgische Politiker und Wirtschaftsvertreter haben mit Sorge und einer gewissen Ratlosigkeit auf das Nein des britischen Parlaments zum Brexit-Vertrag mit der EU reagiert. Premierminister Charles Michel teilte mit, dass die Föderalregierung jetzt damit beginnen werde, konkrete Maßnahmen für ein Ausscheiden Großbritanniens aus der EU ohne Vertrag vorzubereiten.
Finanzminister Alexander De Croo kündigte an, die Vorbereitungen für so ein Szenario bei den Zolldiensten jetzt zu beschleunigen, um belgischen Unternehmen mit Handelsbeziehungen nach Großbritannien zu helfen.
Der flämische Ministerpräsident Geert Bourgeois (N-VA) forderte eine Verschiebung des vorgesehenen Brexit-Datums am 29. März, um Chaos zu verhindern. Eine Idee, die vom belgischen Europaabgeordneten und Fraktionsführer der Liberalen im Europaparlament, Guy Verhofstadt, zurückgewiesen wird.
Um den Brexit zu verschieben, müsste sich die EU flexibel bei der Anwendung des Artikel 50 aus den EU-Verträgen zeigen. Dieser Artikel 50 setzt den zeitlichen Rahmen für den Austritt eines Mitgliedstaates aus der Union.
Verhofstadt will daran nicht rütteln: „Wir haben nicht geplant, jetzt noch mal die Bestimmungen aus dem Artikel 50 zu verlängern“, sagte er noch Dienstagabend. "Sicher nicht so kurz vor den Europawahlen. Denn wir wollen nicht, dass das Chaos, das jetzt in Großbritannien herrscht, auch auf die europäische Politik überschwappt."
Vielmehr liege es jetzt an den Briten selbst, Ordnung in ihr Chaos zu bringen, sagte Verhofstadt: "Das britische Parlament hat gesagt, was es nicht will. Jetzt ist es Zeit herauszufinden, was die britischen Abgeordneten wollen. Derweil müssen die Rechte der Bürger gesichert bleiben."
Der CD&V-Europaabgeordnete Tom Vandenkendelaere seinerseits wertete die Abstimmung als Katastrophe. Er sagte gegenüber der VRT: "Ich fürchte, dass wir uns jetzt auf das Schlimmste, nämlich auf einen harten Brexit, vorbereiten müssen."
Belgische Unternehmen nicht auf harten Brexit vorbereitet
Vor allem die flämische Wirtschaft fürchtet sich vor einem harten Brexit. Sie siehta aber noch Hoffnung. "Es bleiben noch 70 Tage, um eine andere Lösung zu finden", so die Reaktion des flämischen Unternehmerverbandes Voka.
Sollte Großbritannien die EU ohne Abkommen verlassen, dann müssen sich Unternehmen, die Handel mit Großbritannien betreiben, auf Zölle, Kontrollen und andere Handelshemmnisse einstellen.
Dennoch hat sich der überwältigende Teil der betroffenen belgischen Betriebe bisher nicht darauf vorbereitet. Von 25.000 Unternehmen haben gerade mal 5.000 eine sogenannte EORI-Identifikationsnummer beim Zoll beantragt.
Der Zoll will diese Woche daher eine neue Informationskampagne starten und alle betroffenen Betriebe anschreiben. Ohne die Zollidentifikationsnummer wäre der Handel mit Großbritannien im Falle eines harten Brexits unmöglich.
Bedauern, Enttäuschung und vor allem Ratlosigkeit
Mit Bedauern und Ratlosigkeit reagieren auch die Regierungen der verschiedenen EU-Mitgliedesländer auf das deutliche Votum des britischen Parlamentes. Dabei überwiegt die Meinung, dass der Ball nun im britischen Lager liege.
Nach Meinung von Frankreichs Präsident Macron stehen die Briten jetzt unter Druck, haben aber noch drei verschiedene Optionen: Den No-Deal-Brexit, Nachverhandlungen mit den EU-Partnern oder eine Verschiebung des Brexit-Termins.
Enttäuscht äußerte sich auch der niederländische Premier Mark Rutte. Der Rückschlag bedeute aber noch keine No-Deal-Situation, sagte er. Dänemarks Regierungschef Rasmussen hat das Brexit-Votum ebenfalls mit Sorge aufgenommen. Es sei zutiefst bedauerlich, dass man einem chaotischen EU-Austritt Großbritanniens jetzt einen Schritt nähergekommen sei, schrieb Rasmussen auf Twitter. Die britische Regierung müsse nun aufzeigen, wie es weitergehen könne.
Auch aus Schweden kamen sorgenvolle Tweets. EU- und Handelsministerin Ann Linde schrieb, die Vereinbarung zwischen der britischen Regierung und der EU bleibe der beste Weg hin zu einem geordneten Brexit.
EU Parlament berät am Mittwoch
Das Europaparlament kommt am Mittwoch wegen einer Dringlichkeitssitzung zusammen, um den Ausgang der Brexit-Abstimmung in London zu beraten. Abgeordnete aller Fraktionen wollen erörtern, welche Optionen nach dem Votum der britischen Abgeordneten bleiben, und wie die Europäische Union reagieren könnte.
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und EU-Ratschef Donald Tusk nehmen nicht an der Debatte teil. Sie sind nach Brüssel geeilt, um dort die Folgen der britischen Abstimmung zu analysieren.
dpa/sh