In Syrien droht die zwischen dem Regime und Rebellen vereinbarte Waffenruhe bereits nach einer Woche komplett zu scheitern. Einerseits sind die Kämpfe nach Angaben von Beobachtern deutlich intensiver geworden. Andererseits belastet der Tod von mindestens 90 syrischen Soldaten bei einem vermutlich versehentlichen US-Luftangriff das Verhältnis zwischen den USA und Russland schwer. Auch eine Woche nach Inkrafttreten der Feuerpause konnte keine humanitäre Hilfe an Hunderttausende notleidende Menschen verteilt werden.
Das russische Außenministerium erklärte am Sonntag, die Vereinbarungen zur Waffenruhe und zum gemeinsamen Kampf gegen Terrorgruppen in Syrien seien in Gefahr.
An diesem Montag müsste eigentlich die nächste Stufe der Vereinbarung zwischen den USA und Russland umgesetzt werden. Sie sieht vor, dass die USA und Russland gemeinsam und koordiniert gegen Terrorgruppen wie den Islamischen Staat (IS) vorgehen.
Bei dem Angriff am Samstagnachmittag starben nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte mindestens 90 Menschen. Mehr als 120 weitere wurden verletzt, als Kampfjets der internationalen Koalition mehrere Positionen des syrischen Militärs nahe der Stadt Dair as-Saur im Osten des Landes angriffen
Die US-Regierung äußerte ihr "Bedauern". Die Piloten seien davon ausgegangen, dass sie Stellungen der Terrormiliz Islamischer (IS) angriffen, teilte das Pentagon mit. Außerdem seien russische Stellen vorab informiert worden, dass Kampfflugzeuge der Koalition in dem Gebiet operieren würden, erklärte Pentagon-Sprecher Peter Cook. Dagegen seien keine Bedenken geäußert worden.
Das US-Zentralkommando verwies auf die "komplexe" Situation in Syrien mit verschiedenen militärischen Kräften und Milizen in nächster Nähe zueinander. Der Angriff sei sofort abgebrochen worden, als Russland die Koalition auf den Fehler aufmerksam gemacht habe.
Russland rief als Reaktion auf den Angriff eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates ein und warf den USA in einer Mitteilung vor, "an der Grenze zwischen verbrecherischer Schlamperei und direkter Rücksichtnahme auf IS-Terroristen" gehandelt zu haben.
Die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Samantha Power, bezichtigte Russland der Effekthascherei. "Selbst nach russischen Standards ist die Nummer auf einzigartige Weise zynisch und scheinheilig", sagte Power.
Dabei war die ausgehandelte Waffenruhe bereits zu Beginn des Wochenendes äußerst zerbrechlich. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte verzeichnete heftige Kämpfe im ganzen Land. In Dschubar, einem Vorort der Hauptstadt Damaskus, habe sich das Regime schwere Gefechte mit Aufständischen geliefert. Zudem habe das Regime weiter Luftangriffe gegen Rebellenstellungen in den Provinzen Hama und Aleppo geflogen.
Die Hilfskonvois der Vereinten Nationen saßen unterdessen weiter an der türkischen Grenze fest. Es sei "frustrierend", sagte der Sprecher der UN-Nothilfeorganisation Ocha, David Swanson, der Deutschen Presse-Agentur. Die LKW mit Lebensmitteln für die umkämpfte Stadt Aleppo warteten immer noch auf grünes Licht.
dpa/okr