Für die Briten bleibt auch eine Woche nach dem Brexit-Votum unklar, wer künftig die Verhandlungen über den EU-Austritt des Landes führen wird. In beiden großen Parteien wird um den Posten des Vorsitzenden gerungen. Bei den konservativen Tories geht es zugleich darum, wer auf den scheidenden Premier David Cameron folgt und das Königreich in ruhigere Fahrwasser steuern soll. Nach der Kandidatur von Innenministerin Theresa May deutet alles auf ein innerparteiliches Duell mit Brexit-Wortführer Boris Johnson hin.
Im Labour-Lager will die Abgeordnete Angela Eagle nach Medienberichten am Donnerstag den Oppositionschef Jeremy Corbyn zu einer Kampfabstimmung über den Parteivorsitz herausfordern. Damit würden sich beide großen Parteien in einen wochenlangen Wahlkampf um die Parteiführung stürzen.
Corbyn war von der Parteibasis im Spätsommer 2015 mit überwältigender Mehrheit ins Amt gewählt worden. Obwohl er mittlerweile in der Fraktion kaum noch Rückhalt hat, will der 67-Jährige bei einer Neuwahl wieder kandidieren. Ihm wird vorgeworfen, im Wahlkampf vor dem historischen Brexit-Referendum zu wenig Einsatz gezeigt zu haben.
Frist für Bewerbungenbei Konservativen läuft ab
Bei den Konservativen läuft am Donnerstagmittag die Frist für Bewerbungen auf das Amt des Parteichefs und damit des Premierministers ab. Nach Außenseiter Stephen Crabb und dem ehemaligen Verteidigungsminister Liam Fox verkündete in der Nacht zum Donnerstag erwartungsgemäß auch Theresa May ihre Kandidatur. In einem Gastbeitrag für die Zeitung "The Times" distanziert sich May von Politikern, die die Härten des Lebens nicht kennen und das Regierungsgeschäft für "ein Spiel" halten würden - eine kaum verhohlene Spitze gegen Johnson und dessen privilegierte Herkunft.
Mit Spannung wird nun die offizielle Kandidatur von Londons Ex-Bürgermeister erwartet. Beobachter rechnen damit, dass Johnson bis zur letzten Minute um Anhänger in der Tory-Fraktion wirbt.
Cameron mischte sich derweil in den Führungsstreit der Labour-Partei ein und rief Jeremy Corbyn zum Rücktritt auf. "In Gottes Namen, Mann, gehen Sie!", rief der Regierungschef in einer Parlamentsdebatte am Mittwoch dem Oppositionsführer zu. Es sei zwar für die Konservativen nützlich, aber nicht im nationalen Interesse, wenn Corbyn weiter die Opposition führe.
Die Labour-Fraktion revoltiert seit Tagen gegen den Parteilinken Corbyn und hatte ihm am Dienstag mit großer Mehrheit das Misstrauen ausgesprochen. Die Fraktion befürchtet, er könnte der Partei im Fall einer Neuwahl eine verheerende Niederlage einbrocken. Das Votum hat aber keine bindende Konsequenz, und Corbyn verweigert den Rücktritt. Sollte er bei einer erneuten Urwahl wieder gewinnen, stünde die Labour-Partei möglicherweise vor einer Spaltung.
dpa/jp/sr - Bild: Leon Neal/AFP