Die Briten sitzen nicht mehr am Tisch des Rates. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker kam am Mittwoch fast schon gut gelaunt zum Brüsseler Ratsgebäude. Dort tagt man also jetzt zu 27: Die Briten müssen heute draußen bleiben. Am Dienstag war das noch anders. Da setzte der scheidende britische Premier David Cameron die Kollegen offiziell über das britische Brexit-Votum offiziell in Kenntnis.
"Die Atmosphäre war ernsthaft", sagte die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel nach Ablauf des ersten Gipfeltages. "Eine Realität", und Politiker würden schließlich nicht für Lamentieren bezahlt, sondern müssten vielmehr auf eine solche Realität angemessen reagieren, sagte Merkel.
Großbritannien muss offiziell Scheidung einreichen
Genau das vermisst man aber gerade bei den Briten. Die sollten nämlich jetzt nicht nur die Kollegen ins Bild setzen, sondern auch Fakten schaffen, forderten viele Staats- und Regierungschefs. Konkret: Um den Ausstieg aus der Europäischen Union formell einzuleiten, müsste London eigentlich Artikel 50 der EU-Verträge aktivieren. Man könnte sagen: Großbritannien muss offiziell die Scheidung einreichen. Nur weigert sich David Cameron, das zu tun. Die Briten erbeten sich mehr Zeit...
Also, aus Sicht von Cameron könne er das ja noch verstehen, sagte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Cameron habe schließlich für den Verbleib in der EU geworben und wolle den Ausstieg nun seinem Nachfolger überlassen. Was er aber nicht verstehe, das ist, dass die Brexit-Befürworter offensichtlich auch keinen Plan haben.
"Surrealistisch", nannte das auch Premierminister Charles Michel. Da plädieren Leute mit aller Vehemenz monate- um nicht zu sagen jahrelang für einen Brexit. Und wenn er einmal da ist, dann haben sie keine Ahnung, wie sie damit umgehen sollen.
"Britischer Surrealismus"
Dieser "britische Surrealismus", wie es Michel nannte, der kann aber sehr schnell sehr schädlich werden. Solange Großbritannien nicht offiziell besagten Artikel 50 aktiviert, also seinen Ausstieg beantragt, solange hängt der Brexit also lose in der Luft. "Das bedeutet Unsicherheit, und das darf nicht zum Dauerzustand werden", wetterte Premier Michel. Er habe keine Lust und auch nicht die Absicht, sich von London monatelang erpressen zu lassen.
Wenn Großbritannien damit nur den Preis nach oben treiben will, dann sollte man sich da in London mal nicht verkalkulieren, warnten schon die Partner, und das ziemlich einvernehmlich. Denkbar wäre, dass Großbritannien schonmal vorfühlende Verhandlungen führt, um einen möglichst vorteilhaften Deal rauszuholen, nach dem Motto: alle Vorzüge einer EU-Mitgliedschaft ohne die dazugehörigen Pflichten. Und wenn man sich dann im Vorteil sieht, dann reicht man den Antrag ein.
"Das können sie vergessen", ist sich aber die andere Seite einig. Vorverhandlungen, die wird es nicht geben. Gefeilscht wird erst, wenn der Antrag auf Ausstieg eingereicht ist, betonte etwa Jean-Claude Juncker. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel sagt dasselbe und auch der luxemburgische Premier Xavier Bettel hat keine Lust, dass die Briten am Ende entscheiden, wann die Verhandlungen weit genug gediehen sind.
Beginn eines Rosenkriegs?
Der eine oder andere mag hier schon den Beginn eines Rosenkriegs erkennen, nach dem Motto: eine einvernehmliche Scheidung wird der Brexit wohl nicht... Die 27 verbleibenden EU-Staaten wollen am Mittwoch jedenfalls schonmal damit anfangen, zu beraten, wie man sich da im Einzelnen aufstellen wird. Ziel müsse erstmal sein, eine möglichst geschlossene Position zu finden, mahnte der Luxemburgische Premier Xavier Bettel.
Der belgische Kollege Charles Michel denkt schon einen Schritt weiter: Wir müssen auch das britische Referendum zum Anlass nehmen, um die EU zu verbessern, damit den Bürger auch nochmal der Mehrwert der EU vor Augen geführt wird. Was die Menschen jetzt bestimmt nicht sehen wollen, das ist eine EU, die wieder in einer Krise versinkt und den Eindruck vermittelt, sie sei mal wieder nur mit sich selbst beschäftigt. Notfalls schwebt dem belgischen Regierungschef auch eine Art "Koalition der Willigen" vor, ein Kerneuropa, bestehend aus Staaten, die mehr Europa wollen und die schonmal vorangehen.
Roger Pint - Bild: Thierry Charlier/AFP