Der britische Labour-Oppositionschef Jeremy Corbyn wehrt sich gegen massive Rücktrittsforderungen aus den eigenen Reihen. Zahlreiche Abgeordnete riefen ihn bei einer Sitzung am Montagabend zum Rückzug auf. Sie fürchten, mit Corbyn an der Spitze schwere Verluste bei Neuwahlen.
Teilnehmer bezeichneten die Stimmung des Treffens als "feindselig" und "katastrophal". Am Dienstag steht ein Misstrauensvotum gegen den 67-Jährigen an. Dabei werde geheim abgestimmt, berichtete der Sender BBC. Dieses Votum sei aber nicht rechtlich bindend, sagte eine Sprecherin der Labour-Partei der Deutschen Presse-Agentur.
Ein enger Vertrauter Corbyns erklärte, der Labour-Chef werde auf keinen Fall weichen. Es seien lediglich einige Abgeordnete, die sich gegen ihn stellten. Notfalls werde sich Corbyn erneut einer Urwahl der Partei stellen. Der 67-jährige, der dem linken Parteiflügel angehört, war erst vor neun Monaten bei einer Urwahl mit breiter Mehrheit an die Parteispitze gekommen - in der Fraktion gab es aber schon immer viel Kritik.
Unmittelbar nach der Sitzung stellte sich Corbyn seinen Anhängern. Man solle jetzt nicht die "Schuld-Karte" ausspielen, rief er der jubelnden Menge in London zu.
Bei Brexit-Referendum nicht genügend für Verbleib in EU eingesetzt
Zahlreiche Abgeordnete hielten ihm vor, sich beim Brexit-Referendum nicht genügend für den Verbleib in der EU eingesetzt zu haben. Wähleranalysen zeigen, dass das Austrittslager auch in Labour-Hochburgen im Nordwestens Englands punkten konnte.
Außerdem zweifeln seine Kritiker, ob er der geeignete Mann für die erwarteten Neuwahlen ist - vor allem, wenn er gegen den überaus populären und mediengewandten Brexit-Wortführer Boris Johnson antreten müsste.
Nach dem angekündigten Rücktritt von Premierminister David Cameron könnte es bereits zum Jahresende vorgezogene Neuwahlen geben. Einen offensichtlichen Kandidaten, der die Nachfolge Corbyns antreten könnte, gab es zunächst nicht. Bevor Corbyn vergangenes Jahr zum Favoriten avanciert war, hatte der Abgeordnete Andy Burnham vorn gelegen.
Der 46-Jährige aus der nordenglischen Arbeiterschicht gibt sich als Durchschnittsbürger, der jeden Labourwähler vertreten kann. Kritiker werfen ihm politischen Opportunismus vor. Am Wochenende hatte er deutlich gemacht, dass er sich nicht an einem "Coup" gegen Corbyn beteiligen wolle - das könnte ihn zusätzlich als Konsenskandidat positionieren.
Bereits zuvor waren über die Hälfte der Labour-Schattenminister zurückgetreten, um so den Druck auf Corbyn zu erhöhen. Allerdings reagierte dieser prompt mit der Bildung eines neues Schattenkabinetts.
Im Unterhaus warnte Corbyn vor politischen Machtkämpfen nach dem Brexit-Referendum. "Unser Land ist gespalten", rief Corbyn. Die Leute würden ein Taktieren der Abgeordneten beider Parteien in dieser Zeit nicht danken.
dpa/sh/sr - Bild: Justin Tallis/AFP