Der britische Premierminister David Cameron hat sich im Fernsehen den Fragen eines Studiopublikums gestellt und nochmal nachdrücklich für einen Verbleib des Königreichs in der EU geworben. Rund 45 Minuten beantwortete er am Sonntagabend die Fragen von BBC-Moderator David Dimbleby und Zuschauern. Labour-Chef Jeremy Corbyn gibt sein TV-Debüt zum Thema Brexit am Montagabend (19:00 Uhr MESZ/Sky News).
Am 23. Juni stimmen die Briten über einen Austritt ihres Landes aus der EU ab. Nur drei Tage nach dem Mord an der Labour-Abgeordneten Jo Cox spielte bei der TV-Fragestunde mit Cameron auch die Art und Weise der hitzig geführten Brexit-Debatte eine Rolle. Ein Fragesteller aus dem Publikum wollte gleich zu Beginn vom Premier wissen, ob die Polarisierung und schrillen Töne im Wahlkampf Mitschuld daran trügen, dass Cox nun tot sei.
Cameron hätte das zum Anlass nehmen können, die Gegenseite in der Debatte um das EU-Referendum anzugreifen. Doch er wich der Gefahr aus, diese Steilvorlage zu nutzen und politisches Kapital aus dem Tod der 41-Jährigen zu schlagen, womit er sich angreifbar gemacht hätte. Stattdessen setzte der Premier zu einem Appell für Toleranz an und leitete dann rasch zu seinem Lieblingsthema über: Wirtschaft.
Es ist stets die gleiche einfache Formel, auf die sich Cameron beruft. Großbritanniens Wirtschaft würde durch einen Brexit schrumpfen, dadurch gäbe es weniger Arbeitsplätze und weniger Steuereinnahmen. Immer wieder versuchte Moderator David Dimbleby, Cameron andere Themen aufzuzwingen: Seine politische Zukunft im Brexit-Fall, Immigration, einen möglichen EU-Beitritt der Türkei. Doch Cameron kehrte immer wieder zur Wirtschaft zurück.
Das fiel ihm auch deswegen nicht allzu schwer, weil er sich keiner Debatte mit führenden Brexit-Befürwortern stellen musste. Selten durften Publikumsgäste mehr als eine Frage stellen. Cameron war für dieses Format im Vorfeld heftig kritisiert worden.
Eine richtige Debatte werden sich dagegen Londons Bürgermeister Sadiq Khan und sein Amtsvorgänger und Brexit-Befürworter Boris Johnson am Dienstag liefern (21:00 Uhr MESZ/BBC One).
Studie: Knappe Mehrheit der EU-Bürger gegen Brexit
Eine Mehrheit der EU-Bürger wünscht sich, dass Großbritannien in der Europäischen Union bleibt. Laut einer am Montag vorgestellten Studie der Bertelsmann-Stiftung mit dem Titel "Bleibt doch" spricht sich mit 54 Prozent allerdings nur etwas mehr als die Hälfte dafür aus. Rund jeder fünfte will, dass die Briten die Staaten-Gemeinschaft verlassen. Auffallend nach Meinung der Forscher ist, dass 25 Prozent nicht wissen, welchen Standpunkt sie bei dieser Frage einnehmen sollen.
Auch Gegner des Brexits blieben bei einem Austritt des Vereinigten Königreichs gelassen. Auswirkungen für ihr eigenes Land befürchten nur wenige: Über zwei Drittel der befragten EU-Bürger erwarten keine Konsequenzen. "Auch wenn vielen Bürgern ihre Alltagssorgen näher sind als die Wahlergebnisse aus London - ein Austritt Großbritanniens wäre ein Verlustgeschäft für alle Europäer", sagte Aart De Geus, Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann Stiftung.
Konsequenzen für die EU als Ganzes aber befürchten deutlich mehr EU-Bürger. 45 Prozent der Befragten außerhalb Großbritanniens erwarten, dass sich die Lage der Union durch einen Austritt Großbritanniens verschlechtern würde. 45 Prozent gehen von einer wirtschaftlichen Schwächung aus. 26 Prozent sehen einen Machtverlust der EU ohne die Briten.
Dabei lohnt sich ein Blick in die einzelnen Länder. 51 Prozent der Polen und 48 Prozent der Deutschen machen sich Sorgen um die Konsequenzen eines möglichen Brexits für die EU. Franzosen, Spanier und Italiener sind da deutlich gelassener. Eine Mehrheit in diesen Ländern sieht keine negativen Auswirkungen.
Laut Studie haben Alter und Wissen der Befragten wenig Einfluss auf die Meinung zum möglichen Brexit. Entscheidend sei die Grundeinstellung zur EU. Mit 72 Prozent wünscht sich eine große Mehrheit der EU-Fans den Verbleib der Briten. Bei den Europaskeptikern sind es nur 30 Prozent. In dieser Gruppe aber gibt es nach Ansicht der Bertelsmann-Forscher eine Überraschung. Nur 38 Prozent der EU-Kritiker wünschen sich den Austritt des Königreichs. Mit 32 Prozent wissen fast ebensoviele der Skeptiker nicht, was sie sich wünschen sollen.
dpa/jp/sr - Bild: Thierry Charlier/AFP