Wer luftig-leichte Opernmusik bevorzugt, der ist in dieser Woche in der Lütticher Oper am falschen Ort. Hier gibt es nämlich einen ganzen Abend lang tiefste Gefühle von Tragik und Tod, ausgelöst durch die unerfüllbare Liebe zweier Menschen, die nicht füreinander bestimmt sind.
Seit über 60 Jahren hat man die wunderbare und zutiefst emotionale Musik von Richard Wagner in Lüttich nicht mehr gehört, und der "Tristan" wurde sogar zuletzt 1926 dort aufgeführt. Grund genug für Operndirektor Stefano Pace, eine nach seinen Worten "schöne und ästhetisch wertvolle Produktion und Inszenierung" zu realisieren, die deutlich anders sein sollte als einige der typisch deutschen Tristan-Inszenierungen, denen er nicht allzu viel abgewinnen kann.
Rettung in letzter Sekunde
Die zweite Aufführung nach der Premiere stand aber leider nicht unter einem guten Stern. Am Morgen wachte die Darstellerin der Isolde, die Armenierin Lianna Harutunian, ohne Stimme auf und konnte die Vorstellung am Abend logischerweise nicht singen. Nach einigen sehr hektischen Stunden und einer intensiven Suche nach einer Lösung konnte Direktor Stefano Pace vor Beginn der Aufführung verkünden, dass in letzter Minute ein Ersatz gefunden werden konnte.
Die Schwedin Ingela Brimberg probt momentan an der Monnaie in Brüssel für eine Aufführung von Wagners "Götterdämmerung". Sie hat aber auch die Rolle der Isolde in ihrem Repertoire. Sie kam zwei Stunden vor in Lüttich an und hat den Gesangspart der Isolde vom Bühnenrand aus gesungen, während eine Darstellerin die Rolle der Isolde in der Inszenierung übernahm.
Diese Lösung hat zwar die Aufführung gerettet, und beide Damen haben ohne Probe diesen Sprung ins eiskalte Wasser hervorragend gemeistert, aber für das Publikum war es deutlich schwieriger, sich in die Emotionen der Hauptdarsteller hineinzuversetzen, wenn die Darstellerin nicht selbst singt.Auch für den Tristan-Darsteller, den schwedischen Heldentenor Michael Weinius, war diese Situation natürlich nicht einfach.
Fehlende Wagner-Tradition ein Vorteil
Der Ausfall von Lianna Harutunian war also ein Dämpfer für die feierliche Stimmung in Lüttich, aber alles in allem wurde die erste Wagner-Aufführung seit sechs Jahrzehnten zu einem Erfolg. Die für das Orchester relativ ungewohnte Musik ist wirklich herrlich, und wie Michael Weinius erklärte, kann das Fehlen einer Wagner-Tradition für ein Orchester auch ein Vorteil sein, weil dann die relativ massive Musik etwas transparenter gespielt werden könnte als traditionell beispielsweise bei vielen deutschen Orchestern.
Das Orchester spielt wie üblich auf hohem Niveau. Einziger Wermutstropfen war die Tatsache, dass die teilweise sehr groß orchestrierte Musik in den lauten Passagen quasi immer die Stimmen der Sänger übertönte und man den Text nicht mehr verstehen konnte. Vielleicht ist das eben der fehlenden Erfahrung mit Wagner-Opern geschuldet. Aber auch so lohnt sich ein Besuch einer Tristan-Vorstellung in Lüttich allemal, und das ist noch bis zum 8. Februar möglich. Tragik, Liebe und Tod sind garantiert, angetrieben von der wundervollen Musik von Richard Wagner.
Patrick Lemmens